2
Ich schlug mich durch das Schuljahr. Meine Fehlzeiten waren dabei so unbegreiflich wie mein Notendurchschnitt. In Sport, Musik und Englisch sehr gut, in Deutsch und Geschichte gut. Dafür in Hauswirtschaft und Mathe sehr schlecht, aber das durften die Lehrerinnen nicht schreiben, darum stand auf dem Zeugnismangelhaft undungenügend. Ich war auch in Physik ziemlich schlecht, in Biologie dafür in Ordnung. Mein Notendurchschnitt war trotz der paar Schandflecken im Zweierbereich. Die Lehrer waren sich nicht schlüssig, ob ich talentiert oder dumm war, genehmigten einen Notenausgleich und sicherten mein Vorrücken in die nächste Jahrgangsstufe.
Ich nahm mir vor, in diesem frischen Schuljahr einiges anders zu machen. Ich wollte in die Schule gehen, selbstbewusst, unabhängig, aber vor allem: präsent. Wie zu Neujahr hielten die guten Vorsätze ungefähr eine Woche lang. Sie prallten, wie zu schnell um die Kurve rasende Autos, gegen die Realität und zerschellten. Professor Peter Kruse hat einmal in Anlehnung an das Ashbysche Gesetz gesagt: Wo immer wir ein hochdynamisches komplexes Problemsystem haben, brauchen wir Minimum ein so komplexes dynamisches Lösungssystem. Das heißt, wenn wir keine gegengleiche Komplexität haben, sind wir nicht lösungsfähig. Was meine Mitschüler und mich betraf: Wir waren nicht lösungsfähig. Ashby bezieht sich eigentlich auf Kybernetik, Professor Kruse überträgt die Regel auf einen Vortrag über Kreativität. Ich aber spreche von Sozialisation. Ich spreche von den Möglichkeiten unseres uneingeschränkten Denkens und den Unmöglichkeiten des eingeschränkten Denkens. Das Ineinander dessen, was unsere Denkart und unsere Standpunkte bestimmt.
Ich zerdachte alles. Andere dagegen nahmen Verhaltens- und Denkmuster so an, wie sie ihnen übergeben wurden. Von ihren Eltern, ihren Freunden. Sie blieben in ihrer Mentalität verschleißfest. Was unser Komplexitätsniveau betraf, waren wir nicht deckungsgleich. Ich vermute mittlerweile, dass einige Menschen aus meiner Vergangenheit vielseitiger und schlauer waren, als sie mir damals vorkamen, abersie neben mir, das kam mir damals vor, als vergleiche jemand ein Uhrwerk mit einem Stein. Es gibt eben mehr Steine als Uhren auf der Welt. Ich möchte niemanden beleidigen. Vor allem nicht die Steine. Aber ich hatte unter den Steinen zu leiden. Sie schlugen immer wieder auf mich ein, und hätte ich kein festes Gehäuse besessen, ich wäre daran zerbrochen. Ich würde lügen, würde ich sagen, ohne einen Sprung davongekommen zu sein.
„Warum bist du eigentlich so komisch?“, fragte mich Thomas einmal, als ihm in der Pause langweilig war und es ihm einfiel, mit mir zu sprechen. Ich kam ihm nur deswegen komisch vor, weil ich nicht dieser starren Norm entsprach, über die er nicht hinwegkam, weil er zu schwer von Begriff war. Ich war komisch, weil ich verloren und orientierungslos in der Selbstfindungsphase und voller Unsicherheit war, die ich mir nicht anmerken lassen wollte, aber auch nicht verheimlichen konnte. Ich war komisch, weil ich keinen festen Halt im Leben besaß. Und ich war verloren, weil ich das alles wusste. Vor allem war ich komisch, weil ich mich nicht, wie er und die anderen, mit den täglichen Belanglosigkeiten des Lebens zufriedengeben konnte. Weil ich immer Sucht nach der Ferne und dem unirdischen Vorhandensein hatte. Ich konnte vielleicht nicht schreiben wie Goe