: Christian Bommarius
: 1949 Das lange deutsche Jahr | Eine lebendige Geschichte der Nachkriegszeit
: Verlagsgruppe Droemer Knaur
: 9783426452790
: 1
: CHF 13.00
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: 20. Jahrhundert (bis 1945)
: German
: 320
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
1949, ein deutsches Schickalsjahr: Entnazifizierung, Wiederaufbau, Staatsgründung, Demokratisierung »Christian Bommarius ist ein großartiger Erzähler, er macht die Nachkriegsgeschichte so lebendig, dass man erschrickt. Man erschrickt deshalb, weil unsere Gesellschaft so viel hätte lernen können, aber so wenig gelernt hat.« Heribert Prantl, Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung 1949 ist das Jahr der doppelten Staatsgründung und des Beginns der zweiten Demokratie auf deutschem Boden. Die ersten Bundestagswahlen bringen Konrad Adenauer ins Kanzleramt, Theodor Heuss wird Bundespräsident, Bonn Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland. In der DDR wird Wilhelm Pieck Präsident, Ministerpräsident Otto Grotewohl.  Christian Bommarius erzählt so kundig wie kurzweilig die Geschichte des langen Jahres 1949. Dieses setzt bereits 1948 ein, als mit Währungsreform - die sich 2023 zum 75. Mal jährt - und Auftrag zur Verfassungs-Bildung die Weichen in Richtung Bundesrepublik gestellt wurden. Und 1948 blockiert auch die Sowjetunion den Zugang zu West-Berlin, eine Blockade, die fast ein Jahr andauert, die abgeschnittene Stadt kann nur durch die Luftbrücke der Alliierten mit dem Lebensnotwendigen versorgt werden. Bommarius schildert zentrale und marginale Episoden aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Alltagsleben. Sein Sachbuch ist ein buntes Panoptikum der frühen Bundesrepublik Deutschland - und birgt eine höchst aktuelle Botschaft: Demokratisches Denken und Handeln muss immer wieder gegen Widerstände gelebt werden, damals wie heute. »Christian Bommarius' großes Panorama der Nachkriegsjahre verstört und ist zugleich ein stilistischer Genuss, von dem man nicht mehr loskommt. Nie ist so klug, komisch und kompromisslos über diese Zeit geschrieben worden.« Karina Urbach, Institute of Historical Research, University of London

Christian Bommarius, Jahrgang 1958, studierte Germanistik und Rechtswissenschaft. Nach journalistischen Stationen, u. a. als Korrespondent beim Bundesverfassungsgericht, war er von 1998 bis 2017 Redakteur der Berliner Zeitung, anschließend Kolumnist bei der Süddeutschen Zeitung und ist nun freier Publizist. Für sein publizistisches Werk wurde Bommarius der Heinrich-Mann-Preis verliehen.

Drei Hühner – schwarz, weiß, rot –, eine ausgebombte Wohnung in Berlin, ein Gartenhaus in Wilhelmshorst bei Potsdam in der sowjetischen Zone, Erbsen, Bohnen und Kartoffeln zur Selbstverpflegung, gelegentlich Strom und Wasser, Hunger als beständiges Lebensgefühl. Friedrich Helms,65 Jahre alt, früher national gestimmter Sozialdemokrat, seit zwei Jahren lustloser SED-Genosse, vormals »Direktor« bei der Deutschen Bank, jetzt Handlanger in der Bank-Filiale in Charlottenburg (britischer Sektor).

Seine Hilfsdienste: Umtausch der Reichsmark in D-Mark, stundenlang, tagelang, von morgens bis abends. Vor seiner Rückkehr nach Wilhelmshorst hat Helms – bei Strafe – seinen Verdienst in D-Mark in Ost-Mark umzutauschen. Sein Hunger ist nicht konvertibel. Er begleitet ihn morgens von Ost nach West, abends von West nach Ost. Friedrich Helms hätte gerne eine Erklärung. Ihn interessiert, für was er bestraft wird. Es sei offensichtlich, schreibt er im Tagebuch, dass Deutschland in zwei Weltkriegen so klein wie möglich gemacht werden sollte. Jedem müsse klar sein, dass die Schuld am Zweiten Weltkrieg keineswegs einseitig sei. Warum gehen dann er und seine Frau Marie, bis Kriegsende Parteigenossin, jeden Abend mit Hunger ins Bett? An diesem1. Juli hat er nur drei bis vier dünne Scheiben Brot gegessen, geröstet und ohne Aufstrich. Die Leidtragenden, klagt Helms, sind wir.

 

 

Vielleicht hat Thomas Mann im kalifornischen Exil inzwischen die Nase voll von den deutschen Kalamitäten. Von den Nazis ausgebürgert, hatte der Schriftsteller vor zehn Jahren den amerikanischen Boden mit dem Bekenntnis betreten: »Wo ich bin, ist Deutschland. Ich trage meine deutsche Kultur in mir.« Noch vor drei Jahren hat er in einer seiner BBC-Ansprachen an die Deutschen immerhin Verständnis gezeigt für die Bewohner des militärisch, politisch, wirtschaftlich und moralisch verwüsteten Landes: »Ihr seid des Todes, der Zerstörung, des Chaos übersatt, wie sehr Euer Heimlichstes zeitweise auch danach verlangt haben möge. Ihr wollt Ordnung und Leben, eine neue Lebensordnung, wie düster und schwer sie sich für Jahre auch anlassen wird.« Doch jetzt, da es endlich ernst wird mit der neuen Lebensordnung, registriert Thomas Mann zwar knapp die Verschärfung des Berliner Konflikts. Seinen Tagebucheintrag aber beginnt er mit der Nachricht: »Der Pudel, gestern völlig krank und wild, neuerdings in die Klinik.«

 

 

In Deutschland meldet sich Eugen Kogon zu Wort, Publizist und ehemaliger Gefangener im KZ Buchenwald, der schon vor zwei Jahren den Deutschen in einem Buch Einzelheiten über das Innenleben des »SS-Staats« verraten hat, den viele kaum von außen bemerkt haben wollten. Jetzt aber redet Kogon nicht den Deutschen ins Gewissen, sondern den Alliierten. Ihr Verhältnis zur »deutschen Demokratie« verlange endlich, drei Jahre nach dem Krieg, ein System verbindlichen Rechts, nicht dieses ewige Hin und Her von Entgegenkommen, Befehlen, Verhandlungen und Willkürmaßnahmen. Alles gehe viel zu langsam voran, es müsse endlich Schluss sein mit dem missvergnügten Zögern der Besatzungsmächte. Natürlich kennt Kogon den Grund des Zögerns ganz genau. Die Siegermächte, schreibt er, sähen sich durch die weltpolitischen Verhältnisse gezwungen, einen Partn