Drei Hühner – schwarz, weiß, rot –, eine ausgebombte Wohnung in Berlin, ein Gartenhaus in Wilhelmshorst bei Potsdam in der sowjetischen Zone, Erbsen, Bohnen und Kartoffeln zur Selbstverpflegung, gelegentlich Strom und Wasser, Hunger als beständiges Lebensgefühl. Friedrich Helms,65 Jahre alt, früher national gestimmter Sozialdemokrat, seit zwei Jahren lustloser SED-Genosse, vormals »Direktor« bei der Deutschen Bank, jetzt Handlanger in der Bank-Filiale in Charlottenburg (britischer Sektor).
Seine Hilfsdienste: Umtausch der Reichsmark in D-Mark, stundenlang, tagelang, von morgens bis abends. Vor seiner Rückkehr nach Wilhelmshorst hat Helms – bei Strafe – seinen Verdienst in D-Mark in Ost-Mark umzutauschen. Sein Hunger ist nicht konvertibel. Er begleitet ihn morgens von Ost nach West, abends von West nach Ost. Friedrich Helms hätte gerne eine Erklärung. Ihn interessiert, für was er bestraft wird. Es sei offensichtlich, schreibt er im Tagebuch, dass Deutschland in zwei Weltkriegen so klein wie möglich gemacht werden sollte. Jedem müsse klar sein, dass die Schuld am Zweiten Weltkrieg keineswegs einseitig sei. Warum gehen dann er und seine Frau Marie, bis Kriegsende Parteigenossin, jeden Abend mit Hunger ins Bett? An diesem1. Juli hat er nur drei bis vier dünne Scheiben Brot gegessen, geröstet und ohne Aufstrich. Die Leidtragenden, klagt Helms, sind wir.
Vielleicht hat Thomas Mann im kalifornischen Exil inzwischen die Nase voll von den deutschen Kalamitäten. Von den Nazis ausgebürgert, hatte der Schriftsteller vor zehn Jahren den amerikanischen Boden mit dem Bekenntnis betreten: »Wo ich bin, ist Deutschland. Ich trage meine deutsche Kultur in mir.« Noch vor drei Jahren hat er in einer seiner BBC-Ansprachen an die Deutschen immerhin Verständnis gezeigt für die Bewohner des militärisch, politisch, wirtschaftlich und moralisch verwüsteten Landes: »Ihr seid des Todes, der Zerstörung, des Chaos übersatt, wie sehr Euer Heimlichstes zeitweise auch danach verlangt haben möge. Ihr wollt Ordnung und Leben, eine neue Lebensordnung, wie düster und schwer sie sich für Jahre auch anlassen wird.« Doch jetzt, da es endlich ernst wird mit der neuen Lebensordnung, registriert Thomas Mann zwar knapp die Verschärfung des Berliner Konflikts. Seinen Tagebucheintrag aber beginnt er mit der Nachricht: »Der Pudel, gestern völlig krank und wild, neuerdings in die Klinik.«
In Deutschland meldet sich Eugen Kogon zu Wort, Publizist und ehemaliger Gefangener im KZ Buchenwald, der schon vor zwei Jahren den Deutschen in einem Buch Einzelheiten über das Innenleben des »SS-Staats« verraten hat, den viele kaum von außen bemerkt haben wollten. Jetzt aber redet Kogon nicht den Deutschen ins Gewissen, sondern den Alliierten. Ihr Verhältnis zur »deutschen Demokratie« verlange endlich, drei Jahre nach dem Krieg, ein System verbindlichen Rechts, nicht dieses ewige Hin und Her von Entgegenkommen, Befehlen, Verhandlungen und Willkürmaßnahmen. Alles gehe viel zu langsam voran, es müsse endlich Schluss sein mit dem missvergnügten Zögern der Besatzungsmächte. Natürlich kennt Kogon den Grund des Zögerns ganz genau. Die Siegermächte, schreibt er, sähen sich durch die weltpolitischen Verhältnisse gezwungen, einen Partn