: Jens Förster
: Warum wir tun, was wir tun Wie die Psychologie unseren Alltag bestimmt
: Verlagsgruppe Droemer Knaur
: 9783426450598
: 1
: CHF 19.00
:
: Angewandte Psychologie
: German
: 550
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
'Sich selbst und andere verstehen - das zu ermöglichen, ist das Ziel des neuen großen Sachbuchs zur Alltagspsychologie von Jens Förster, einem der bekanntesten Sozialpsychologen Deutschlands. Wonach beurteilen wir andere Menschen? Warum stärken Komplimente unser Selbstbewusstsein? Wie vertrauenswürdig sind Zeugenaussagen? Weshalb unterschätzen sich manche Menschen? Gibt es Sex ohne Liebe und Liebe ohne Sex? Das sind nur einige wenige von vielen Fragen zu unserem Verhalten, die Jens Förster in seinem psychologischen Sachbuch aufgreift. Er weiß: 'Alles ist Psychologie. Jeder Händedruck, jede Kaufentscheidung, jede noch so langweilige Politikdebatte verrät viel über die Akteure, sobald man die Dinge psychologisch betrachtet.' Und so begibt er sich auf einen Streifzug durch unseren Alltag und beschreibt an vielen anschaulichen Beispielen, wie die Psychologie unser Denken, Fühlen und Handeln erklärt. Dabei stützt er sich auf Erkenntnisse der Entwicklungs-, Persönlichkeits-, Sozial-, Motivations-, Werbe- und Organisations-Psychologie. Es geht dabei u.a. um Vorurteile und Beziehungen, um Selbst- und Fremdwahrnehmung, um Motivation und Lernen - und immer darum, sich selbst und andere besser zu verstehen. Jens Förster lehrte 16 Jahre lang als Professor für Psychologie an den Universitäten Bremen, Amsterdam und Bochum. 2017 hat er das Systemische Institut für Positive Psychologie in Köln mitgegründet, wo er neben seiner Lehr- und Forschungstätigkeit als Systemischer Berater und Therapeut arbeitet. Er ist Autor mehrerer Bücher, u.a. ''Was das Haben mit dem Sein macht'' und ''Der kleine Krisenkiller'' sowie der ZEIT-Akademie 'Psychologie' und ''einer der international einfluss­reichsten Psychologen seiner Generation'' (Deutsche Gesellschaft für Psychologie). '

Jens Förster lehrte 16 Jahre lang als Professor für Psychologie an den Universitäten Bremen, Amsterdam und Bochum. 2017 hat er das Systemische Institut für Positive Psychologie in Köln mitgegründet, wo er neben seiner Lehr- und Forschungstätigkeit als Systemischer Berater und Therapeut arbeitet. Er ist Autor mehrerer Bücher, u.a. 'Was das Haben mit dem Sein macht' und 'Der kleine Krisenkiller' sowie der ZEIT-Akademie 'Psychologie'. Jens Förster gilt als 'einer der international einfluss­reichsten Psychologen seiner Generation« (Deutsche Gesellschaft für Psychologie).

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Versuchen, Sinn zu machen


Diese Stunde in der Bahn scheint wie ein Tropfen Wasser zu sein: langweilig und klar – erst bei einer Betrachtung unter dem Mikroskop erkennt man, was sich darin alles tut. In dieser Stunde Alltagsleben verbergen sich tatsächlich Hundertschaften von psychologischen Phänomenen und Effekten! Zu sämtlichen Beobachtungen gibt es in der Psychologie Erklärungsmodelle, Theorien und Hypothesen, die ich Ihnen in diesem Buch nacheinander schildern werde. Wie würden Psychologen auf diese Pendelstunde schauen? Was beobachten sie? Lassen Sie mich einige wenige ansprechen, die mir aufgefallen sind.

Psychologisch ist, dass diese Geschichte eine Aufzählung von Ereignissen ist, wie ich sie subjektiv wahrgenommen habe. Jemand anderes hätte dieselbe Situation höchstwahrscheinlich ganz anders geschildert. Er hätte vielleicht die Reaktion der älteren Dame überhört oder vergessen, und er hätte sich dafür daran erinnert, dass mein Kaffee überschwappte, als ich mich in den Platz drängelte. Vielleicht hätte er auch bemerkt, dass die Mutter dem Kind einen Kuss gegeben hat und dass der Juraprofessor eine unglaublich teure Rolex trug.

Ich habe zudem, wie jeder andere Mensch das auch getan hätte, »Sinn« aus einer Folge von Begebenheiten erschaffen. Ich habe kraft meines Verstandes, meines Wissens und meiner Intuition Dinge bewertet, interpretiert und eingeordnet – dies jedoch aus einer mir eigenen subjektiven Perspektive, die sicher nicht von allen geteilt wird.

Zum Beispiel habe ich geschätzt, dass die beiden zugestiegenen jungen Frauen Studentinnen waren. Das hat sogar gestimmt, hätte aber nicht zutreffen müssen. Ich habe Anhaltspunkte wie »jung«, »steigen in Essen ein in Richtung Bochum«, »große Tasche für den Laptop«, ihr nonverbales Verhalten und das Lächeln als einzige Informationsquellen gehabt, habe sie in Beziehung zueinander gesetzt und geschlussfolgert: »Das sind Studentinnen.« Ich habe sie darüber hinaus aus irgendeinem Grund für intelligent gehalten und im Inneren gedacht: »Schön, dass du so sozial kompetente Menschen ausbilden darfst.« Ich habe sie gemocht, während ich Jacquelines Mutter blöd fand. Das alles hat meine Psyche für mich geleistet, ohne dass ich mich allzu sehr dafür hätte anstrengen müssen.

Personenwahrnehmung ist eine Leistung, die wir immer dann erbringen, wenn wir mit anderen Menschen zusammentreffen. Natürlich kann sie manchmal auch zu Urteilsfehlern oder Verzerrungen führen. Der Kollege Juraprofessor hat zum Beispiel Sinn aus meinem Verhalten konstruiert. Für ihn war ich so angezogen und habe mich wohl so verhalten wie ein wissenschaftlicher Mitarbeiter, der »irgendwas mit Medien« macht. Das ist verständlich, denn in der Tat bemühe ich mich, bloß nicht so auszusehen wie viele meiner Kollegen, die sich entweder zu lässig oder zu konservativ anziehen. Ich habe dem Prototyp eines Psychologieprofessors nicht entsprochen, während die jungen Frauen dem Prototyp der Psychologiestudentin voll entsprochen haben.

Ich behaupte, dass auch Sie sich gerade aus wenigen Informationen Sinn »machen« (müssen). Haben Sie sich etwa nicht die aggressive Mutter als ungebildete Frau aus einem Mietblock vorgestellt? Jedenfalls passt dieses Erziehungsverhalten eher zu einer Person mit einem niedrigen sozialen Status als zu einer Ärztin. Außerdem klingt der Name Jacqueline eher nach sozialem Wohnungsbau als nach Villengegend, und in Ersterem isst man wohl auch eher Pommes.

Unsere Forschung beschäftigt sich damit, wie Wahrnehmungen entstehen, die ja häufig durch Vorurteile oder Stereotype geprägt sind. Letztendlich können solche Schubladen im Kopf Diskriminierung erklären, wie wir später noch sehen werden. Tatsächlich, so unsere Forschung, finden wir in allen Bildungsschichten Gewalt, ungünstige Erziehungsmethoden und schlechte Ernährung – zudem weiß ich ja auch kaum etwas über die Familie. Häufig scheinen wir mit unseren Interpretationen zu schnell vorzupreschen. Psychologische Forschung hilft also nicht nur bei der Erklärung des Verhaltens, sondern belehrt uns bisweilen sogar eines Besseren. Diskriminierungen laufen nicht immer bewusst ab; viele Schlussfolgerungen geschehen unbewusst. Was wiederum bedeutet, dass wir nicht unbedingt schlechte Menschen sind, wenn wir Jacquelines Mutter für doof halten. Das Unbewusste spielt in diesem Buch immer wieder eine Rolle.

Aber nicht nur die Art und Weise, wie wir Personen wahrnehmen, ist Psychologie, sondern auch andere Aspekte des Verhaltens zeigen, wie die Psyche arbeitet. Ich habe mich im Zug mehrere Male zurückgenommen. Auf das für mich quälend gewalttätige Verhalten der Mutter habe ich nicht äußerlich reagiert. Ich habe mich zurückgehalten, obwohl ich tatsächlich so etwas gedacht habe wie: »Blöde Kuh, lass das Kind in Ruhe.« Wir können uns selbst