Kapitel 1
Mama und ich – in einer Stadt, die in Deutschland kaum einer kennt, irgendwo am Arsch der Welt. Wir sind in Battambang, einer großen Stadt in Kambodscha mit ein paar hunderttausend Einwohnern. Ich sitze auf einem alten Plastikhocker in einem Restaurant. Sonderlich bequem ist er nicht, aber das muss er auch gar nicht sein, denn das würde doch nur das ganze Flair zerstören! Seltsam eigentlich, dass dieses Restaurant zu den gehobeneren der Stadt gehört, wir aber auf Plastikhockern an Klapptischen sitzen.
Es ist Heiligabend. Mein allererstes Mal, dass ich Weihnachten im Ausland verbringe, und mein allererstes Mal, dass ich es ohne den Großteil meiner Familie tue. Lediglich meine Mutter sitzt hier mit mir am Tisch. Wir zwei feiern gemeinsam Weihnachten – und das in einem Land, in dem man das Christentum nicht mal kennt, und von dem niemand in meiner Klasse je gehört hat.
»Kam-Kam-Kampotscha?! Wo soll denn das sein, Marian?«, fragten meine Klassenkameraden, als ich ihnen von meinem Reiseziel erzählte.
»In Asien«, lautete meine Antwort. Um ehrlich zu sein, wusste ich selbst nicht genau, wo ich eigentlich hinreisen würde, denn ich konnte mir diese ungeheuerliche Distanz (etwa 9.200 Kilometer Flugstrecke) einfach nicht vorstellen. Ich glaubte meiner Mutter nicht einmal, als sie mir erzählte, dass das Flugzeug, in dem wir nach Singapur fliegen würden, zwei Gänge habe. Etliche Male hat sie mir das Schema auf ein Blatt Papier gezeichnet: Sitze – Gang – Sitze – Gang – Sitze. Geglaubt habe ich ihr erst, als ich auf einmal mittendrin im Flieger stand.
Das Ganze war übrigens ihre Idee. Unvorstellbar eigentlich, was sie damit ins Rollen gebracht hat. Vor 21 Monaten war mein Bruder Marlon gestorben, und seitdem fehlte etwas so Grundsätzliches in unserem Leben, dass ich nicht vorwärts oder rückwärts wusste, dass ich mir nicht einmal Gedanken darüber machte, wie es eigentlich weitergehen sollte. Mit uns, unserer Familie. Mit mir. Bis meine Mutter diese Reise buchte.
Seitdem weiß ich wieder, wohin es geht: In die Länder und Städte dieser Welt. Ich möchte reisen, möchte viele Menschen kennenlernen, die Naturwunder unserer Erde sehen, die Großstädte der Welt erkunden und fremde Kulturen verstehen – mit dieser Reise hat alles begonnen.
Inzwischen war ich über 280 Tage meines doch noch recht kurzen Lebens auf Achse, bin Hunderttausend Kilometer geflogen und in 31 Ländern auf drei Kontinenten gewesen – to be continued! Ich will mir nicht vorstellen, wie das nun wäre, wenn Mama niemals so aufgeregt ins Haus gekommen wäre, wie an jenem Tag.
Irgendwann im Mai 2013 saß ich am Esstisch und machte meine Deutschhausaufgaben. Es muss ein Dienstag gewesen sein, dann da musste Mama immer lange arbeiten, und ich saß allein zu Hause. Es war zehn nach vier, also würde Mama gleich kommen. Wenige Augenblicke später hörte ich auch schon, wie sich der Schlüssel im Schloss drehte.
»Marian, huhu! Wo bist du?«, rief meine Mutter. So aufgeregt war sie schon lange nicht mehr gewesen. Ich sprang vom Tisch auf und lief zur Tür, wo ich sie erst einmal umarmte.
»Marian, lass uns zu Petra fahren. Ich habe gerade im Auto mit ihr telefoniert. Komm schon, Deutsch kannst du auch später noch machen!« Meine Mutter drehte si