: Eva Weissweiler
: Lady Liberty Das Leben der jüngsten Marx-Tochter Eleanor
: Hoffmann und Campe Verlag
: 9783455002935
: 1
: CHF 18.30
:
: Biographien, Autobiographien
: German
: 352
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
In den letzten 20 Jahren hat sich die politische Weltlage dramatisch verändert. Osteuropäische Archive haben sich für die Forschung geöffnet, und auch die Sicht auf Karl Marx ist eine andere geworden, seit durch wirtschaftliche und ökologische Krisen deutlich wurde, wie richtig viele seiner Prognosen gewesen sind - ob sie nun Globalisierung und Überproduktion oder Arbeitslosigkeit, Spekulationswut und Armutsrevolten betreffen. Von seinen drei Töchtern hatte Eleanor (1855-1898) die engste Bindung an ihn. Sie war auch die beste Kennerin seines Werkes, zu dessen Sachwalterin sie sich machte: Als Editorin und Übersetzerin seiner Schriften hat sie unser Marx-Bild entscheidend geprägt. Obwohl diese starke Frau sehr beliebt war und sogar von politischen Feinden respektiert wurde, litt sie unter schweren Depressionen, die sie mit 43 Jahren in den Selbstmord trieben. Die bekannte Biographin Eva Weissweiler hat für dieses Buch mehr als hundert unveröffentlichte Briefe aus russischen und holländischen Archiven konsultiert, die durch neue Forschungsergebnisse ergänzt wurden.

Eva Weissweiler, Dr. phil., geboren 1951, Studium der Musikwissenschaft, Germanistik und Islamwissenschaft. Sie veröffentlichte u.a. die Bücher Clara Schumann ( 1990) Tussy Marx. Das Drama der Vatertochter (2002), Die Freuds. Biographie einer Familie (2005); Wilhelm Busch. Der lachende Pessimist (2007), Otto Klemperer ( 2009), Friedelind Wagner (2013); Luise Straus-Ernst (2016) und zuletzt Lady Liberty: Das Leben der jüngsten Marx-Tochter Eleanor (2018). Eva Weissweiler lebt als freie Schriftstellerin und Rundfunkautorin in Köln.

1Kindbett und Cholera 1850–1856


Exil in Soho


London, Soho, Dean Street Nr. 28. Seit1850 Wohnsitz der Familie Marx. Ein typisches Emigrantenviertel ohne jeden Glamour und Chic, die Nachtseite des strahlenden, viktorianischen London mit seinen Parks, Schlössern und Brücken, seinen Alleen, Hafenanlagen und Konzerthallen, die Besucher wie FelixMendelssohn in Entzücken versetzten. Deutsche, französische, italienische und ostjüdische Emigranten, durch Verfolgung, Armut oder Antisemitismus aus ihren Ländern vertrieben, leben hier auf engstem Raum nebeneinander, in schmalen schwarz geräucherten Ziegelkaten, mit dem Ausblick auf winzige Hinterhöfe und enge, kotige Gassen, in denen Bettler verirrten Reisenden auflauern, Kramhändler Schuhe, Geigen und Töpfe feilbieten und kleine Mädchen schreiende Säuglinge in den Schlaf wiegen.

Viele Männer sind arbeitslos, Trunksucht und Prostitution an der Tagesordnung. Die Kinder- und Müttersterblichkeit ist immens. Ärzte verirren sich nur selten in diese Gegend. Es gibt Straßen, in denen sich die Bewohner von zwanzig Häusern einen Abort teilen. Infektionskrankheiten wie Scharlach und Keuchhusten grassieren, Seuchen wie Tuberkulose, Pocken, Typhus und Cholera. Noch dreißig Jahre später wird die englische Sozialreformerin OctaviaHill in ihrem BuchHomes of the London Poor schreiben: »Wer je des Abends … durch die … engen Gassen jener Quartiere gewandert ist, wird mit Schaudern an die vom Geruch von verdorbenem Fett verpestete Luft denken. … In dieser Luft bringen zahllose Kinder lange Jahre ihres Lebens zu. Die Häuser bieten keinen Schutz gegen die Witterung und sind … Seuchenherde, wie sie schlimmer kaum gedacht werden können.«[1]

London hat um diese Zeit zweieinhalb Millionen Einwohner, Tendenz: steigend. Die industrielle Revolution fährt fort, Menschen in die Stadt zu locken, die ihnen trotz ihres Überseehandels, ihrer Textilmanufakturen und ihrer Eisenbahn- und Dockgesellschaften oft weder Arbeit noch Wohnraum bieten kann. Auch die Familie Marx ist, aus Paris kommend, von Logierhaus zu Logierhaus geirrt, ehe sie Ende des Jahres1850 in der Dean Street Nr. 28 notdürftig untergekommen ist. Ihr Vermieter ist keiner von den klassischen »Ausbeutern«, die Wucherpreise für ein Elendsquartier verlangen, sondern der irische Gelehrte MorganKavanagh, Sympathisant sozialistischer Ideen und Autor von Büchern über den Ursprung von Mythos und Sprache.

Doch das nützt den Marxens nicht viel. Denn sie l