: Roberto Simanowski
: Stumme Medien Vom Verschwinden der Computer in Bildung und Gesellschaft
: Matthes& Seitz Berlin Verlag
: 9783957575913
: 1
: CHF 17.90
:
: Medien, Kommunikation
: German
: 304
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Der digitale Wandel der Gesellschaft wird von konzeptlosen Politikern und gewinnorientierten Unternehmern diskussionslos durchgewunken und vorangetrieben. Die gelegentliche Kritik an Fake News, Filterblasen und dem Verlust der Privatsphäre trifft nur die Symptome einer viel grundsätzlicheren Gefahr für das Fortbestehen unserer Demokratie. Auch die Schulen und Universitäten entziehen sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung, wenn sie nur vermitteln, wie man die neuen Medien sicher nutzen und effektiv in der Forschung einsetzen kann, statt auch die kulturstiftende Funktion des Computers zu betrachten. Roberto Simanowski plädiert in seiner Streitschrift für eine neue Medienbildung, die kritisch operiert statt affirmativ. Nicht allein die Anwendungskompetenz muss im Zentrum der Bildung stehen, sondern die Frage, wie die neuen Medien unser Leben und unsere Weltwahrnehmung ändern.

Roberto Simanowski ist ausgebildeter Lehrer für Deutsch und Geschichte und Professor für Medienwissenschaft an der Pontifícia Universidade Católica do Rio de Janeiro. Seine Forschungsgebiete umfassen Postmodernismus, Multikulturalismus, Ästhetik und digitale Medien. Zuletzt erschienen bei Matthes& Seitz Berlin seine Bücher Data Love (2014), Facebook-Gesellschaft (2016) und Abfall. Das alternative ABC der neuen Medien (2017).

I. Medien und Gesellschaft


Ein Eichhörnchen,
das vor deinem eigenen Haus stirbt,
könnte für dich in diesem Moment
interessanter sein als Menschen,
die in Afrika sterben.

(Mark Zuckerberg, 2010)

Die Botschaft der Medien sind die Medien selbst, postulierte Marshall McLuhan, für viele der Vater der Medienwissenschaft, 1964 in seinem EssayDas Medium ist die Botschaft: »jedes Medium hat die Macht, seine eigenen Postulate dem Ahnungslosen aufzuzwingen«. Inwiefern die Begriffe »ahnungslos« und »aufzwingen« die Situation jeweils korrekt beschreiben, ist von Fall zu Fall zu klären. Doch weder für das Auto noch für das soziale Netzwerk à la Facebook wird man die kulturstiftende Rolle des Mediums bestreiten können: Das Auto hat die Autogesellschaft hervorgebracht, mit all ihren Folgen für den Individualverkehr, die Bildung von Vorstädten und die Verstopfung der Innenstadt. Facebook und andere soziale Netzwerke schaffen wiederum eine Gesellschaft, in der die Kommunikation und ihre Kulturtechniken maßgeblich durch die Formen der Selbstdarstellung in den sozialen Netzwerken und deren Modus der Weltwahrnehmung bestimmt sind: eine Ungedulds- und Immersionsgesellschaft, beschreibbar durch Begriffspaare wie Hyper-Aufmerksamkeit und Multitasking, Big Data und Transparenz, Interaktion undinstant gratification, Ranking, Update, Selfie, Like, Jetzt.12

Es ist bemerkenswert, wenngleich kaum erstaunlich, dass die Produzentinnen der neuen Medien sich gelegentlich vehement gegen eine Perspektive des technischen Determinismus wenden. Offenbar liegt es nicht im Interesse eines Technologiekonzerns, seinen Produkten zu viel Macht über die Menschen zu attestieren. Die Annahme, dass die Nutzer für die Folgen dieser Produkte verantwortlich sind, ist jedoch schwer durchzuhalten, wenn die Technik durch ihre Funktionsweise soziale Normen setzt, indem beispielsweise die Anzeige des Empfangs einer Nachricht in Textmessenger-Applikationen (WhatsApp, Threema) auf eine umgehende Antwort drängt. Wer da einwendet, niemand sei gezwungen, einen Textmessenger zu verwenden oder einer Textnachricht sofort zu antworten, verkennt, dass bestimmte technische Möglichkeiten bestimmte gesellschaftliche Praktiken mit sich bringen, die wiederum bestimmte Erwartungen erzeugen. Diese Praktiken und Erwartungen beeinträchtigen schließlich – als durch Technik erzeugtes so