: Steven Pinker
: Aufklärung jetzt Für Vernunft, Wissenschaft, Humanismus und Fortschritt. Eine Verteidigung
: S. Fischer Verlag GmbH
: 9783104030685
: 1
: CHF 18.00
:
: Angewandte Psychologie
: German
: 736
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Eine leidenschaftliche Antithese zum üblichen Kulturpessimismus und ein engagierter Widerspruch zu dem weitverbreiteten Gefühl, dass die Moderne dem Untergang geweiht ist. Hass, Populismus und Unvernunft regieren die Welt, Wissenschaftsfeindlichkeit macht sich breit, Wahrheit gibt es nicht mehr: Wer die Schlagzeilen von heute liest, könnte so denken. Doch Bestseller-Autor Steven Pinker zeigt, dass das grundfalsch ist. Er hat die Entwicklung der vergangenen Jahrhunderte gründlich untersucht und beweist in seiner fulminanten Studie, dass unser Leben stetig viel besser geworden ist. Heute leben wir länger, gesünder, sicherer, glücklicher, friedlicher und wohlhabender denn je, und nicht nur in der westlichen Welt. Der Grund: die Aufklärung und ihr Wertesystem. Denn Aufklärung und Wissenschaft bieten nach wie vor die Basis, um mit Vernunft und im Konsens alle Probleme anzugehen. Anstelle von Gerüchten zählen Fakten, anstatt überlieferten Mythen zu glauben baut man auf Diskussion und Argumente. Anschaulich und brillant macht Pinker eines klar: Vernunft, Wissenschaft, Humanismus und Fortschritt sind weiterhin unverzichtbar für unser Wohlergehen. Ohne sie wird die Welt auf keinen Fall zu einem besseren Ort für uns alle. »Mein absolutes Lieblingsbuch aller Zeiten.« Bill Gates

Steven Pinker, geboren 1954, studierte Psychologie in Montreal und an der Harvard University. 20 Jahre lang lehrte er am Department of Brain and Cognitive Science am MIT in Boston und ist seit 2003 Professor für Psychologie an der Harvard University. Seine Forschungen beschäftigen sich mit Sprache und Denken, daneben schreibt er regelmäßig u.a. für die »New York Times« und den »Guardian«. Er war »Humanist of the Year 2006«, das Magazin »Prospect« zählte ihn zu den »Top 100 öffentlichen Intellektuellen«, das Magazin »Foreign Policy's zu den »100 globalen Intellektuellen« und das »Time Magazine« zu den »100 einflussreichsten Menschen in der heutigen Welt«. Im S. Fischer Verlag ist die viel diskutierte Studie »Gewalt. Eine neue Geschichte der Menschheit« (2011) erschienen, außerdem »Wie das Denken im Kopf entsteht« (2011), »Der Stoff, aus dem das Denken ist« (2014) sowie »Das unbeschriebenen Blatt. Die moderne Leugnung der menschlichen Natur« (2017). Sein Werk ist mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden.

Kapitel 1Wage zu verstehen!


Was ist Aufklärung? In einem Essay von1784 mit dieser Frage im Titel lautete Immanuel Kants Antwort, sie sei »der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit«, der aufgrund von »Faulheit und Feigheit« erfolgten Unterwerfung unter die »Satzungen und Formeln« religiöser oder politischer Autoritäten.[4] Wie er verkündete, gilt als Wahlspruch der Aufklärung: »Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!«, und seine grundlegende Forderung ist die nach der Freiheit im Denken und Reden. »Ein Zeitalter kann sich nicht verbünden und darauf verschwören, das folgende in einen Zustand zu setzen, darin es ihm unmöglich werden muß, seine … Erkenntnisse zu erweitern, von Irrtümern zu reinigen, und überhaupt in der Aufklärung weiter zu schreiten. Das wäre ein Verbrechen wider die menschliche Natur, deren ursprüngliche Bestimmung gerade in diesem Fortschreiten besteht.«[5]

Eine aus dem21. Jahrhundert stammende Formulierung der gleichen Idee findet sich inThe Beginning of Infinity, einer Rechtfertigung der Aufklärung durch den Physiker David Deutsch. Wenn wir wagen zu verstehen, so Deutsch, ermöglicht dies Fortschritt in allen Bereichen, gleich ob wissenschaftlicher, politischer oder ethischer Natur:

Optimismus (in dem von mir vertretenen Sinn) ist die Theorie, dass jegliches Versagen – jegliches Übel – auf unzureichendem Wissen beruht. … Probleme sind unausweichlich, weil unser Wissen nie auch nur im Entferntesten vollständig sein wird. Manche Probleme sind gewaltig, aber man sollte keineswegs gewaltige Probleme mit Problemen verwechseln, die wahrscheinlich unlösbar sind. Probleme lassen sich lösen, und jedes einzelne Übel ist ein lösbares Problem. Eine optimistische Zivilisation ist offen und ohne Angst vor Erneuerung, und sie gründet sich auf überlieferte Kritik. Ihre Institutionen verbessern sich fortlaufend, und das wichtigste ihnen innewohnende Wissen ist die Kenntnis, wie sich Irrtümer aufspüren und beseitigen lassen.[6]

Was istdie Aufklärung?[7] Darauf gibt es keine offizielle Antwort, weil die Epoche, der Kants Essay ihren Namen gab, nie durch eine Eröffnungszeremonie oder Abschlussfeier wie die Olympischen Spiele eingeläutet oder beendet wurde; ebenso wenig wurden ihre Grundsätze in einem Schwur oder Glaubensbekenntnis festgelegt. Die Aufklärung verortet man gemeinhin in den beiden letzten Dritteln des18. Jahrhunderts, obwohl sie in der wissenschaftlichen Revolution und dem Zeitalter der Vernunft im17. Jahrhundert ihren Ursprung hatte und schließlich in die Blütezeit des klassischen Liberalismus in der ersten Hälfte des19. Jahrhunderts mündete. Ermutigt durch Naturwissenschaftler und Entdecker, die gängige Meinungen in Frage stellten, im Bewusstsein blutiger Religionskriege aus der jüngeren Vergangenheit und angestachelt durch Wandelbarkeit und Wankelmut von Ideen und Menschen suchten die Denker der Aufklärung nach einem neuen Verständnis der menschlichen Existenz. Die Epoche war ein Füllhorn an – zum Teil widersprüchlichen – Ideen, aber vier Themen einten sie: Vernunft, Wissenschaft, Humanismus und Fortschritt.

An erster Stelle steht die Vernunft. Vernunft ist nicht verhandelbar. Sobald wir erörtern, welchen Sinn das Leben hat (oder jede andere Frage), solange wir darauf bestehen, dass unsere wie auch immer gearteten Antworten vernünftig oder fundiert oder wahr sind und dass andere Menschen sie daher ebenfalls für bare Münze nehmen sollten, haben wir uns der Vernunft verpflichtet und der Annahme, dass unsere Überzeugungen objektiven Maßstäben standhalten.[8] Wenn es etwas gibt, das die Denker der Aufklärung gemeinsam hatten, dann war es das Beharren darauf, dass wir den Maßstab der Vernunft mit Nachdruck an unser Verständnis der Welt anlegen und nicht wieder der Heraufbeschwörung von Trugbildern erliegen – sei es durch Glaube, Dogma, Offenbarung, Autorität, Charisma, Mystizismus, Weissagung, Visionen, Bauchgefühl oder die hermeneutische Analyse sakraler Texte.

Es war die Vernunft, die die meisten Denker der Aufklärung veranlasste, sich von dem Glauben an einen anthropomorphen Gott, der sich für die Geschicke der Menschen interessiert, zu distanzieren.[9] Die Vernunft offenbarte, dass Berichte von Wundern zweifelhaft waren und die Verfasser heiliger Bücher nur allzu menschlich, dass Naturereignisse ganz unabhäng