1Keine Chance für Lola
Madeleine war ein typisches Kind der heutigen Zeit. Man konnte unmöglich Magda heißen, und die Karriere stand auch schon fest: Serienstar oder Topmodel. In beiden Berufen hatte sie sich bereits als Kleinkind bewährt. Zunächst konnten ihre Eltern sie in einem Katalog mit Strampelanzug bewundern und später in einem Werbespot, bei dem sie wieder und wieder mit anderen Kindern über eine Wiese tollte und zum Abschluss unter vielen Ahs und Ohs gierig ein Getränk in sich hineinschlürfte. Es musste ein furchtbares Gesöff gewesen sein, jedenfalls versetzte es die Kindermägen in solche Wut, dass die Mütter alle Hände voll zu tun hatten, ihre Sprösslinge zu beruhigen, die heulend im Gras herumstanden und spuckten. Im Branchenjargon kannte sie sich besser aus als in der Grammatik. Ihr Satz »Gib mich mal die Outdoor-Jacke« wurde viel belacht, und man speicherte ihn voller Rührung im Gedächtnis, um ihn gelegentlich bei Familienfeiern zum Besten zu geben. Auf die sorgfältige Zusammenstellung ihrer täglichen Garderobe verwendete Madeleine weit mehr Zeit als auf die Schularbeiten. Das endete meist mit dem Ausruf: »Ich hab nichts anzuziehn!«, was die Mutter undankbar nannte, jedoch dem Vater ein schmunzelndes »Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm« entlockte. Aber auch ihm ging sein geliebter Putzaffe auf die Nerven. Eben noch hatte sie ihn in Jeans und herzig besticktem Blüschen angebettelt, mit ihr einen Spaziergang zu machen, Minuten später, als er sich widerstrebend aus seinem Stuhl erhob und nach dem Hausschlüssel griff, erblickte er neben sich eine Art Nixe im gerüschten Badeanzug und mit irgendetwas ebenso Gerüschtem auf dem Kopf, die Lippen rot angemalt und die Wimpern getuscht. Und zu allem Überfluss lispelte dieses Wesen noch durch eine Zahnlücke: »Wie seh ich aus, Papi?« Die Reaktion fiel entsprechend aus. »Dir fehlt wohl eine Latte im Zaun!«, rief der entsetzte Vater. Ihre Mundwinkel senkten sich bedenklich, und als er sich strikt weigerte, in diesem Aufzug mit ihr auf die Straße zu gehen, gab es ein lautes Gebrüll. Sein Versuch, ihren Zornesausbruch mit einem Klaps zu stoppen, schlug fehl. Dafür schloss sich ein elterliches Streitgespräch an über Sinn und Unsinn solcher pädagogischer Maßnahmen. »Ein Kind zu schlagen, das ist doch wohl das Letzte!«, empörte sich die Mutter.
»Nun mach aber mal halblang«, verteidigte sich der Vater, »ein Klaps ist kein Schlag«, und er wies den Vorwurf, er werde womöglich das Kind auch noch schütteln, wo man doch immer wieder lesen konnte, wie gefährlich so etwas für ein kleines Gehirn war, weit von sich.
Das Für und Wider solcher Strafen ging hin und her, bis ihn Madeleine am Ärmel zupfte. »Papi«, sagte sie ungeduldig, »nun komm doch endlich.« Er drehte sich zu ihr um und stellte fest, sie hatte sich zum dritten Mal auf wundersame Weise verwandelt. Sie trug jetzt einen großen Strohhut und darunter ihr giftgrünes Laura-Ashley-Kleid, ein Geschenk der Uralttante, von Vater nur der Familienrestbestand genannt, die nicht versäumt hatte, mehrfach darauf hinzuweisen, was dieser Fetzen für ein Sündengeld gekostet hatte und dass solche hohen Ausgaben für ein Kind eigentlich gegen jede gute Sitte verstießen. Madeleines Vater tat einen tiefen Seufzer. »Na, dann wollen wir mal starten.« Angeekelt betrachtete er die schwarz lackierten Nägel seiner Tochter.
Neben ihrem Modefim