: D. H. Lawrence
: Jürgen Schulze
: Söhne und Liebhaber Vollständige und überarbeitete deutsche Ausgabe
: Null Papier Verlag
: 9783962813413
: Klassiker bei Null Papier
: 3
: CHF 0.90
:
: Historische Romane und Erzählungen
: German
: 649
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
'Söhne und Liebhaber' (Originaltitel: Sons and Lovers) ist ein Roman des britischen Schriftstellers D. H. Lawrence, der erstmals 1913 veröffentlicht wurde. Es war Lawrence' dritter Roman und wird heute gemeinhin als sein frühes Meisterwerk bezeichnet, obwohl es nach seiner ersten Veröffentlichung nur gleichgültige Kritiken erhielt und von vielen als obszön angesehen wurde. Als die Modern Library 1999 eine Liste der hundert besten englischen Romane des 20. Jahrhunderts zusammenstellte, platzierten sie 'Söhne und Liebhaber' auf Platz neun. Der Roman ist ein Bildungs- und Künstlerroman, der den Werdegang des 'Helden' Paul Morels schildert und sein Verhalten zu Frauen, insbesondere zu seiner Mutter, der langjährigen Freundin Miriam und der verheirateten, aber in Trennung lebenden Clara Dawes. Null Papier Verlag

David Herbert Lawrence (11.09.1885-02.03.1930) war ein englischer Schriftsteller, der in der englischen Literatur des 20. Jahrhunderts als erster Schriftsteller von Rang aus einer Arbeiterfamilie stammte. Er war der Autor des skandalumwitterten Romans 'Lady Chatterley und ihr Liebhaber'.

Erstes Kapitel – Ehefrühling der Morels


Nach dem ›Höl­len­gang‹ kam der ›Grun­d‹. Der Höl­len­gang war eine Rei­he stroh­ge­deck­ter, ganz ge­räu­mi­ger Häu­schen, die auf Green­hill-Lane am Bach ent­lang stan­den. Berg­leu­te leb­ten dar­in, die in den klei­nen, zwei Fel­der brei­ten ent­fern­ten Gru­ben ar­bei­te­ten. Der Bach lief un­ter Er­len­bü­schen da­hin, nur we­nig durch die­se klei­nen Gru­ben ver­schmutzt, de­ren Koh­le Esel zu­ta­ge för­der­ten, die müde im Krei­se um ein Spill her­um­lie­fen. Und eben­sol­che Gru­ben la­gen über die gan­ze Land­schaft ver­streut; ein paar von ih­nen wa­ren be­reits zu Zei­ten Karls des Zwei­ten in Be­trieb ge­we­sen, die mit ih­ren we­ni­gen, sich amei­sen­gleich in die Erde hin­ein­wüh­len­den Berg­leu­ten und Eseln son­der­ba­re Hü­gel und klei­ne schwar­ze Fle­cken zwi­schen den Korn­fel­dern und Wie­sen bil­de­ten. Und die Häu­schen die­ser Berg­leu­te, in Grup­pen von zwei­en und mehr, ge­le­gent­lich mit ei­nem Hof oder ei­ner Be­hau­sung der über das Kirch­spiel1 ver­streu­ten Strumpf­wir­ker2 zu­sam­men­ge­schlos­sen, bil­de­ten das Dorf Best­wood.

Dann aber mach­te sich vor etwa sech­zig Jah­ren eine große Ver­än­de­rung be­merk­bar. Die klei­nen Gru­ben wur­den von den großen Berg­wer­ken der Geld­leu­te bei­sei­te ge­scho­ben. Das Koh­len- und Ei­sen­feld von Not­ting­hams­hi­re und Der­by­s­hi­re wur­de ent­deckt. Car­ston, Wai­te& Co. er­schie­nen. Un­ter ge­wal­ti­ger Auf­re­gung er­öff­ne­te Lord Pal­mer­ston fei­er­lich den ers­ten Schacht der Ge­sell­schaft zu Spin­ney Park, am Saum des Sher­wood-Fors­tes.

Um die­se Zeit brann­te der wohl­be­kann­te ›Höl­len­gang‹, der sich mit zu­neh­men­dem Al­ter einen üb­len Ruf er­wor­ben hat­te, nie­der, und da­mit wur­de viel Schmutz bei­sei­te ge­räumt.

Car­ston, Wai­te& Co. fan­den, dass sie einen gu­ten Griff ge­tan hat­ten, und so wur­den das gan­ze Tal ent­lang von Sel­by und Nut­tall neue Schäch­te nie­der­ge­trie­ben, bis bald sechs Gru­ben in Be­trieb stan­den. Von Nut­tall her, hoch oben zwi­schen den Wäl­dern auf dem Sand­stein, führ­te eine Ei­sen­bahn hin­ter den Trüm­mern der Kar­täu­ser­ab­tei und an Ro­bin Hoods Brun­nen vor­über nach Spin­ney Park hin­ab und von dort wei­ter nach Min­ton, al­les ein großes Berg­werk zwi­schen lau­ter Korn­fel­dern; von Min­ton lief sie zwi­schen den Guts­hö­fen an der Tal­sei­te ent­lang nach Bun­kers­hill, bog von dort nach Nor­den ab auf Beg­gar­lee und Sel­by zu, von wo man nach Crich und den Hü­geln von Der­by­s­hi­re hin­über­sieht; sechs Berg­wer­ke, gleich schwar­zen Kup­pen in der Land­schaft, ver­band die Ei­sen­bahn durch einen fei­nen Ket­ten­strang.

Um die Scha­ren der Berg­leu­te un­ter­zu­brin­gen, bau­ten Car­ston, Wai­te& Co. die ›Ge­vier­te‹, große Vier­e­cke von Häu­sern am Han­ge von Best­wood, und dar­auf in der Bachnie­de­rung an Stel­le des frü­he­ren ›Höl­len­gan­ge­s‹ den ›Grun­d‹.

Der ›Grun­d‹ be­stand aus sechs Blö­cken von Berg­manns­häu­sern, zwei Rei­hen zu je drei, wie die Punk­te auf dem Sechs-Null-Do­mi­no­stein, mit je zwölf Häu­sern in ei­nem Block. Die­se dop­pel­te Häu­ser­rei­he lag am Fuße des ziem­lich stei­len Ab­han­ges von Best­wood und über­sah, we­nigs­tens von den Bo­den­fens­tern aus, den sanf­ten An­stieg des Ta­les auf Sel­by zu.

Die Häu­ser selbst wa­ren dau­er­haft und an­stän­dig. Man konn­te rund um sie her­um­ge­hen und fand da­bei klei­ne Vor­gär­ten mit Au­ri­keln und Stein­brech in den Schat­ten­la­gen des tiefs­ten Blockes, und mit Bart- und an­de­ren Nel­ken in dem son­ni­gen vor­de­ren; net­te Vor­der­fens­ter, klei­ne Vor­bau­ten, klei­ne Li­gus­ter­he­cken, und Dach­fens­ter für die Bo­den­räu­me. Das war aber nur die Au­ßen­sei­te, das war nur ein Blick auf die un­be­nutz­ten gu­ten Stu­ben der Berg­manns­frau­en. Der ei­gent­li­che Wohn­raum, die Kü­che, lag auf der Rück­sei­te des Hau­ses, mit dem Aus­blick auf den In­nen­raum des Blockes, auf einen ver­kom­me­nen Hin­ter­gar­ten und wei­ter­hin die Aschen­gru­be. Und zwi­schen den Häu­ser­rei­hen, zwi­schen den lan­gen Rei­hen der Aschen­gru­ben lief der Gang ent­lang, wo die Kin­der spiel­ten, die Frau­en klatsch­ten und die Män­ner rauch­ten. So wa­ren die tat­säch­li­chen Le­bens­be­din­gun­gen im ›Grun­d‹, der so gut an­ge­legt war und so nett aus­sah, ganz übel, weil die Leu­te in der Kü­che le­ben muss­ten und die Kü­chen auf die­sen ek­li­gen Gang zwi­schen den Aschen­gru­ben hin­aus­gin­gen.

Wenn Frau Mo­rel von Best­wood aus hin­un­ter­kam, war sie gar nicht dar­auf ver­ses­sen, in den ›Grun­d‹ über­zu­sie­deln, der nun be­reits zwölf Jah­re alt und auf dem Ab­stieg war. Aber es war doch wohl das Bes­te, was sie tun konn­te. Zu­dem hat­te sie ein Eck­haus in ei­nem der obe­ren Blö­cke, und so­mit nur einen Nach­barn; und au­ßer­dem noch einen be­son­de­ren Strei­fen Gar­ten. Und durch den Be­sitz die­ses Eck­hau­ses er­freu­te sie sich ei­ner Art Er­ha­ben­heit über die üb­ri­gen Frau­en in den ›Zwi­schen‹-Häu­sern, weil ihre Mie­te fünf und eine hal­be Mark be­trug an­statt nur fünf Mark die Wo­che. Aber die­se Er­ha­ben­heit ih­rer Le­bens­la­ge war Frau Mo­rel doch nur ein schwa­cher Trost.

Sie war ein­und­drei­ßig Jah­re alt und acht Jah­re ver­hei­ra­tet. Eine ziem­lich klei­ne Frau von zar­tem Äu­ßern, aber ent­schlos­se­ner Hal­tung, schreck­te sie zu­erst ein we­nig vor der Berüh­rung mit den ›Grun­d‹-Frau­en zu­rück. Im Juli zog sie hin­un­ter und er­war­te­te im Sep­tem­ber ihr drit­tes Kind. Ihr Mann war Berg­mann. Sie wa­ren erst drei Wo­chen in ih­rem neu­en Hau­se, als die Kirch­weih oder der Jahr­markt be­gann. Sie wuss­te, dann wür­de Mo­rel blau­ma­chen. Am Mon­tag­mor­gen, dem Tag des Jahr­markts, ging er früh fort. Die bei­den Kin­der wa­ren mäch­tig auf­ge­regt. Wil­liam, ein Jun­ge von sie­ben, saus­te gleich nach dem Früh­stück von dan­nen, um auf dem Markt­platz her­um­zu­strol­chen, und ließ An­nie, die erst fünf war, zu Hau­se; die quäk­te nun den gan­zen Mor­gen, sie woll­te auch hin. Frau Mo­rel hat­te zu tun. Sie kann­te je­doch ihre Nach­barn kaum erst und wuss­te nicht, wem sie das klei­ne Mäd­chen hät­te an­ver­trau­en kön­nen. Da­her ver­sprach sie ihr, sie nach­mit­tags mit auf den Markt zu neh­men.

Wil­liam er­schi­en um halb eins. Er war ein sehr be­weg­li­cher Jun­ge mit hel­lem Haar und Som­mer­spros­sen und ei­nem Stich ins Dä­ni­sche oder Nor­we­gi­sche.

»Kann ich mein Es­sen krie­gen, Mut­ter?« rief er, mit der Müt­ze auf dem Kopf ins Zim­mer sau­send. »Weils doch um halb zwei los­geht, der Mann hats selbst ge­sagt.«

»Du kannst dein Es­sen krie­gen, wenn’s fer­tig ist«, er­wi­der­te die Mut­ter.

»Ists denn noch nicht fer­tig?« rief er, sie mit sei­nen blau­en Au­gen är­ger­lich an­star­rend. »Denn geh ich ohne los.«

»Das tust du nicht. In fünf Mi­nu­ten ists fer­tig. Es ist erst halb eins.«

»Sie fan­gen aber an«, rief der Jun­ge halb brül­lend.

»Und wenn auch, da­von stirbst du nicht«, sag­te die Mut­ter, »au­ßer­dem ists erst halb eins, so­dass du noch eine vol­le Stun­de hast.«

Has­tig be­gann...