: Tobias Bernasconi, Ursula Böing
: Inklusive Schulen entwickeln Impulse für die Praxis
: Verlag Julius Klinkhardt
: 9783781555990
: 1
: CHF 15.10
:
: Sonderpädagogik
: German
: 258
: Wasserzeichen/DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: PDF
Inklusive Bildung im Sinne der UN-Behindertenrechtskonventio zielt auf die umfassende und gleichberechtigte Teilhabe aller Schülerinnen und Schüler an Bildung.
Dies erfordert von den Unterzeichnerländern die Bereitschaft, umfassende Reformen im Bildungssystem einzuleiten.
Bezogen auf schulische Bildung gehen damit strukturelle Veränderungen der Schulen, ihrer Funktionund ihrer Aufgaben, die Weiterentwicklung professioneller Rollen und die damit verbundene pädagogische und didaktische Gestaltung inklusiver Lernräume einher. Eingebunden in diesen Prozess sind verschiedene Akteurinnen und Akteure aus den unterschiedlichen pädagogischen Tätigkeitsfeldern.
Der vorliegende Band richtet sich an Lehrende, Studierende und pädagogisch Tätige in den Schulen und bietet Impulse, um Bildungsbenachteiligungen zu erkennen, Widersprüche aufzudecken und Veränderungen für eine gleichberechtigte Teilhabe aller Schülerinnen und Schüler auf schulischer und unterrichtlicher Ebene zu gestalten.
Tobias Bernasconi und Ursula Böing
Widersprüche und Ungewissheit – Herausforderungen für an Inklusion orientierte Schulen (s. 31-32)

Zusammenfassung: Der Beitrag beschreibt widersprüchliche Anforderungen, die sich im Kontext inklusiver Schulentwicklung für Lehrpersonen ergeben. Dabei werden als zentrale Widersprüche (1) die Problematik von Inklusion in ein an Selektion und Allokation ausgerichtetes Bildungssystem und (2) das Spannungsfeld von anzuerkennender Diversität einerseits und notwendiger spezialisierter und individueller Unterstützung andererseits diskutiert. Gerahmt werden diese Ausführungen von einleitenden und für das Verständnis grundlegenden Bemerkungen zu Inklusion und Behinderung und von abschließenden Skizzen zur Bedeutung der Anerkennung von Ungewissheit in diesem Prozess.

1 Einführung

Mit der Ratifizierung der UN-BRK haben sich die unterzeichnenden Staaten u.a. verpflichtet, ein inklusives Bildungssystem zu schaffen (vgl. BGBL 2008). Zu dessen Erfüllung sind innerhalb der jeweiligen Bildungssysteme umfangreiche Reformen einzuleiten, die insbesondere in Unterzeichnerländern, die traditionell ein differenziertes, hierarchisch selektiv organisiertes Schulsystem aufgebaut haben, zu einer Erschütterung tradierter, tief verwurzelter institutioneller Strukturen und historisch gewachsener professioneller Ansprüche führen können (vgl. Blanck u.a. 2013).

Aktuell zeigen sich insofern in diesen Ländern auf verschiedenen Ebenen und durch unterschiedliche Akteure initiierte Beharrungstendenzen (vgl. ebd.), durch die der beobachtbare Reformprozess weniger als Transformationsprozess, sondern eher als schrittweise, pfadabhängige Veränderung (vgl. ebd.) bezeichnet werden kann.

Dieser schrittweise Wandlungsprozess wird flankiert von widersprüchlichen Anforderungen und Ambivalenzen, die auf seiner Kehrseite aufscheinen. Sie verdichten sich in der Frage, inwiefern der Anspruch, der sich aus der UN-BRK und der in ihr formulierten Forderung - dem Recht auf wirkliche Teilhabe, auf die dafür bereitzustellende notwendige Unterstützung und auf Nicht-Diskriminierung - innerhalb eines Schulsystems, welches an Selektion und Allokation ausgerichtet ist, überhaupt eingelöst werden kann. Letztendlich verbindet sich mit der Anerkennung der UN-BRK die Frage nach der Legitimitätsgrundlage des hierarchisch gegliederten Schulsystems und der Funktion von Schule (vgl. Powell 2011).

Diese mit inklusiver Schulentwicklung verbundenen Spannungsfelder, die im aktuell beobachtbaren bildungspolitischen und gesellschaftlichen Diskurs eher unsichtbar bleiben (vgl. Kluge u.a. 2015, 11), werden in jüngerer Zeit in Teilen des wissenschaftlichen Diskurses theoretisch und empirisch in den Blick genommen (vgl. z.B. Tervooren u.a. 2014; Häcker& Walm 2015; Sturm& Wagner-Willi 2015; Sturm u.a. 2016; Böing& Köpfer 2016), um sie zu identifizieren und einer Bearbeitung zugänglich zu machen.

2 Inklusion und Behinderung Die Diskussion über und das Verständnis von Inklusion ist in den verschiedenen Diskursen mit sehr unterschiedlichen, ja gegensätzlichen Bedeutungen aufgeladen. In vielen (bildungspolitischen) Veröffentlichungen wird Inklusion so z.B. gleichgesetzt mit der Möglichkeit der Unterrichtung von Schülerinnen und Schülern mit zugewiesenem sonderpädagogischen Unterstützungsbedarf in allgemeinen Schulen (vgl. u.a. MSB NRW 2015). Die damit häufig verbundene Rede von ‚Inklusionskindern‘ oder ‚Inklusionsquoten‘ suggeriert, dass hierbei (1) zwischen Kindern und Jugendlichen mit zugewiesenem Förderbedarf differenziert werden könne, so als würde es Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf geben, die den Status ‚Inklusionskind‘ erhalten und solche, die diesen Status nicht erhalten und somit – quasi als ‚Nicht-Inklusionskinder‘ – in den nach wie vor bereitgestellten Fördersystemen verbleiben. Zweitens impliziert die Rede über sog. Inklusionsquoten die Annahme, als ginge es im Prozess inklusiver Schulentwicklung darum, eine stetig wachsende Population von als mit Förderbedarf attestierten Schülerinnen und Schülern in das allgemeine Schulsystem aufzunehmen. Beide Termini binden den ‚Erfolg‘ inklusiver Schulentwicklung an die jeweiligen Kinder und Jugendlichen mit zugewiesenem Förderbedarf. Ein derart verwendeter Inklusionsbegriff gibt vor, dass Inklusion ein zu erreichender Zustand sei, lediglich abhängig von der Zahl der ‚inkludierten‘ Kinder und Jugendlichen. Folgt man dieser, auf den jeweiligen Schüler oder die Schülerin bezogene, Argumentation so mündet diese – fast zwangsläufig – in einer Dichotomisierung von sog. ‚inkludierbaren‘ und ‚nicht-inkludierbaren‘ Kindern und Jugendlichen (vgl. u.a. Poscher u.a. 2008, 22ff.), wobei Letztere als ‚Inklusionsverlierer‘ (vgl. Schäper 2015, 81) aus dem Allgemeinen Schulsystem ausgeschlossen bleiben.
Titelei4
Impressum5
Inhaltsverzeichnis6
Tobias Bernasconi und Ursula Böing: Einleitung8
Teil 1: Grundlagen16
Andreas Köpfer: Lernsituationen, Lernräume, Differenzierungsräume – Didaktik als Echolot zwischen Inklusion und Exklusion18
1 Einleitung – Inklusive Schulentwicklung als (Um-)Ordnung von Räumen?18
2 Raumtheoretische Bezüge und erste empirische Forschungen20
3 Von Lernräumen zu Lernsituationen im Kontext von Inklusion – ein multidimensionales Konstrukt22
4 Theoretische Diskussion: Differenzierung als ambivalentes Konstrukt – oder: die Frage nach dem ‚gemeinsamen Band‘25
5 Praktische Schlussfolgerungen – Eckpunkte fürLernraumgestaltung26
Literatur27
Tobias Bernasconi und Ursula Böing: Widersprüche und Ungewissheit – Herausforderungen für an Inklusion orientierte Schulen32
1 Einführung32
2 Inklusion und Behinderung33
3 Widersprüche als Herausforderung für an Inklusion orientierte Schulen36
4 Ungewissheit als bedeutsames Moment inklusiver Schulentwicklung41
5 Fazit/Ausblick43
Literatur44
Karin Terfloth: Inklusive Didaktik – zwischen Individualisierung und Kooperation48
1 Inklusive Didaktik48
2 Individualisiertes Lernen50
3 Gestaltung Kooperativen Lernens51
4 Herausforderungen und Gelingensfaktoren des Kooperativen Lernens in inklusionsorientierten Settings56
5 Reflexion über Lernsituationen59
Literatur60
Teil 2: Spezifische Perspektiven auf inklusive Praxis62
Barbara Brokamp: Der Index für Inklusion als Ressource und Instrumentfür inklusive Schul- und Teamentwicklungen64
1 Wenn wir von Inklusion sprechen64
2 Unterstützung der Schulen in inklusiven Entwicklungsprozessen65
3 Die Nutzung des Index für Inklusion in all seinen Varianten65
4 Was Fragen bewegen können69
5 Beispiel für die Arbeit mit den Fragen70
6 Strukturen70
7 Qualifizierung und Professionalisierung für die Prozessbegleitung72
8 Inklusive Fortbildungen und Prozessbegleitungen: 14 Punkte, ohne die es nicht geht72
9 Strukturen etablieren – den Kommunalen Index für Inklusion nutzen76
10 Schlussfolgerungen77
Literatur77
Jan Springob: Inklusion – wie kann es gelingen? Unterstützung von Schulentwicklungsprozessen80
1 Einleitung80
2 Trittsteine inklusiver Schulentwicklung am Geschwister-Scholl-Gymnasium in Pulheim82
3 Fazit und Ausblick88
Literatur89
Tobias Buchner: Personenzentriertes Planen als Ansatz für inklusive Bildung: Grundlagen, Praktiken und Möglichkeitsfelder90
1 Inklusion ermöglichen: Geschichte, Prinzipien und Ziele von personenzentriertem Planen und inklusiver Bildung90
2 Personenzentriertes Denken und Planen: Methoden92
3 Anwendungsfelder personenzentrierten Planens im Kontext inklusiver Bildung98
4 Conclusio: Stärken von personenzentriertem Planen und ‚brachliegende Felder’ in schulischen Settings100
Literatur102
Lena Schmidt: Zur Bedeutung von Kernvokabular in der frühen Sprachbildung – Forschungsergebnisse und Einsatzmöglichkeiten in heterogenen Gruppen104
1 Einführung104
2 Kern- und Randvokabular106
3 Konsequenzen für den Spracherwerb in heterogenen Gruppen109
4 Einsatzmöglichkeiten des Kölner Vokabulars in heterogenen Gruppen114
5 Zusammenfassung117
Literatur117
Hendrik Reimers: Handlungsräume bei herausforderndem Verhalten von Kindern und Jugendlichen120
1 Einführung120
2 Die Basis zur Ermittlung von Handlungsräumen122
3 Funktionale Betrachtung von herausfordernden Verhaltensweisen127
4 Handlungsmöglichkeiten in der Krise129
5 Arbeitsschritte zur Ermittlung von Handlungsräumen129
6 Fazit135
Literatur136
Sophia Falkenstörfer: Umgang mit Vielfalt – Kultursensibles Handeln in schulischen Kontexten bei Menschen mit Migrationserfahrung (und Behinderung)138
1 Zielsetzung138
2 Menschenbild und Pädagogik139
3 Heterogenität, Demokratiebildung und Menschenrechte im Kontext von Schule141
4 Migration – Kultur – Behinderung143
5 Fazit: Kultursensibilität als Voraussetzung einer inklusiven Schule149
Literatur150
Tilo Reißig: Lesen und Schreiben in einem an Inklusion orientierten Unterric