: Georg Trakl
: In den Nachmittag geflüstert Sämtliche Gedichte 1909 - 1914
: marixverlag
: 9783843800037
: 1
: CHF 8.00
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: Anthologien
: German
: 224
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Georg Trakls lyrisches Werk besticht durch die sinnliche Kraft seiner Bilder und eine 'Lyrik in Moll'. Er wird zu den bedeutendsten Frühexpressionisten deutscher Sprache gezählt. Sein hermetisches Schaffen weist jedoch weit darüber hinaus. Gebrandmarkt als Vertreter der 'Décadence', die den Verfall stilisiert anstatt eine soziale Utopie zu entwerfen, träumt er von einem neuen, 'natürlichen' Menschen, von einer Erneuerung der paradiesischen Unschuld in der Gesellschaft. Charakteristisch für seine Gedichte sind Visionen von düsterer Farbenpracht und eine melodisch-rhythmische Sprache. Im vorliegenden Band sind sämtliche Gedichte aus den Jahren 1909 - 1914 nebst einer Einführung von Katharina Maier enthalten.

Georg Trakl (1887 - 1914), war das vierte von sechs Kindern des protestantischen Eisenhändlers Tobias Trakl und seiner Frau Maria, einer zwar musischen, doch gegenüber der Familie sehr distanzierten Frau; die Kinderbetreuung überließ sie weitgehend der französischen Gouvernante. Ab 1897 besuchte er in Salzburg das humanistische Staatsgymnasium, dessen Ambiente und der heraufdämmernde Untergang der K. und K.-Monarchie ihn von klein auf prägten. 1905 verließ er das Gymnasium und begann ein Praktikum in einer Salzburger Apotheke. Schon vorher hatte er mit dichterischen Arbeiten begonnen, die er vereinzelt in Zeitungen publizierte. 1906 wurden zwei Einakter, die er später vernichtete, im Salzburger Stadttheater aufgeführt. Auch bewegte er sich zunehmend in Bohème-Kreisen; auf diese Zeit geht auch sein lebenslanger Alkohol- und Drogenkonsum und das leidvolle inzestuöse Verhältnis zu seiner 1891 geborenen Schwester Margarethe zurück. 1908 siedelte er zum Studium der Pharmazie nach Wien über und fand hier allmählich zu seinem eigenen poetischen Stil. Bis zum Ausbruch des 1. Weltkrieges 1914 pendelte Trakl in Probediensten und auf der Suche nach Anstellungen, die er meist schnell wieder aufgab, unstet in Apotheken, Ministerien und beim Militär, zwischen Salzburg, Wien und Innsbruck. Ab 1912 wurden seine Gedichte im 'Brenner' erstveröffentlicht; außerdem kam eine Verbindung mit Karl Kraus zustande, in dessen 'Fackel' er ebenfalls publizierte. 1914 war Trakl als Medikamentenakzessist mit einer Sanitätskolonne nach Galizien in den Krieg gezogen, von wo er im Anschluss an die Schlacht bei Grodek zur Beobachtung seines Geisteszustandes nach Krakau überwiesen wurde. Dort starb er am 3. November an einer Überdosis Kokain.

»Der Raum im Spiegel«


Ein Vorwort zu Trakls Dichtung

»Inzwischen habe ich denSebastian im Traum bekommen und viel darin gelesen; ergriffen, staunend, ahnend und ratlos; denn man begreift bald, daß die Bedingungen dieses Auftönens und Hinklingens unwiederbringlich einzige waren, wie die Umstände, aus denen eben ein Traum kommen mag. Ich denke mir, daß selbst der Nahestehende immer noch wie an Scheiben gepreßt diese Aussichten und Einblicke erfährt, als ein Ausgeschlossener: denn Trakl’s Erleben geht wie in Spiegelbildern und füllt seinen ganzen Raum, der unbetretbar ist, wie der Raum im Spiegel. (Wer mag er gewesen sein?)« – So schreibt Rainer Maria Rilke 1915 nach seiner Lektüre von Georg Trakls zweitem Gedichtband, dem posthum erschienenenSebastian im Traum, den Trakl nicht lange vor seinem Tod im Alter von 27 Jahren noch selbst zusammengestellt hatte. »Unbetretbar« nennt Rilke den Raum dieser Dichtung und scheint so zu derselben Ansicht zu tendieren wie so viele nach ihm; immer noch heißt es von Trakls Werk, es sei ›hermetisch‹, ›dunkel‹, ›unzugänglich‹. Aber Rilke spricht auch von Scheiben und von Spiegeln, gegen die sich der Leser presst, von der unwiderstehlichen Anziehungskraft getrieben, die diese Dichtung auf ihn ausübt; das impliziert, dass, so ›abgeschlossen‹ Trakls Raum sein mag, doch ein Fenster existiert, durch das der Leser hineinblicken kann und aus dem ihm sowohl das Andere als auch das eigene Selbst entgegenschauen mag – ewig Getrennt, doch ewig Angesehen. Es ist eine Art Verbundenheit, die gerade durch dieses getrennte Anschauen entsteht, kein wahrhaftes Ausschließen: der Leser ahnt, staunt, wird ergriffen, so Rilke, wenn er auch letzten Endes »ratlos« bleibt. Doch es ist eben eine ergriffene, eine staunende, eine ahnende Ratlosigkeit, welche den Blick in eine andere Wirklichkeit lenkt, die hinter dem Spiegel liegt – die wir vielleicht nicht betreten können, die uns aberetwas zeigt und erahnen lässt. Man fühlt sich fast an Paulus’ Wort vom »Spiegel in einem dunklen Wort« erinnert, mit dem der späte Apostel die einzige Form der Erkenntnis beschreibt, die uns im diesseitigen Leben offensteht. Und Trakls Lyrik tut nicht zuletzt das: uns die Dunkelheit unserer eigenen Erkenntnisfähigkeit bewusst machen, dieses Schauen durch Spiegel über Spiegel, aus denen uns etwas grauenhaft Wunderbares und herrlich Fürchterliches entgegenblicken mag – oder, in Trakls Worten aus demNachtlied: »O! ihr stillen Spiegel der Wahrheit. / An des Einsamen elfenbeinerner Schläfe / Erscheint der Abglanz gefallener Engel.«

Georg Trakl wurde am 3. Februar 1887 in Salzburg geboren. Sein Geburtsjahr fällt also in jenen engen Zeitraum, innerhalb dessen auch die Mehrheit der übrigen expressionistischen Dichter, zu denen Trakl gerechnet wird, das Licht der Welt erblickte: eine Generation von Gründervätersöhnen (und -töchtern), die zwanzig Jahre später als Bohemiens und Rebellendichter gegen literarische wie tatsächliche Väter aufbegehren, in grellen wie dunklen Farben und eruptivem Aufschrei den apokalyptischen Untergang und Neubeginn predigen und sich in den Wirren und Nachwehen des Ersten Weltkriegs hineindichten oder verlieren würden. Trakl, der schon 1914, zu Beginn des Großen Krieges und in der frühen Phase des Expressionismus, verstarb, ordnet sich in vieler Hinsicht in die Gruppe dieser Dichter ein, die in ihrer Lyrik Sprache, Selbst und Welt zerschlugen, um Neues erstehen zu lassen; und doch bleibt er eine Erscheinung für sich, die sich gegen jegliche Epochenzurechnung sperrt.

Wie viele der dem Expressionismus zugerechneten Dichter stammte auch Trakl aus einem gutbürgerlichen Milieu: Der Vater war Eisenhändler, der sich vom Klein- zum Großbürgertum hochgearbeitet hatte, ein sanfter oder vielleicht auch harter Patriarch; die Mutter sammelte kunstbegeistert Antiquitäten und überließ, mit Ausnahme der musischen Bildung, die Erziehung ihrer sechs Kinder der Gouvernante. In Trakls Lyrik, in der gewisse Bilder und Begriffe immer wieder aufgegriffen und in immer neuen Verbindungen wiederholt werden, so dass sie sich mit ihren ganz eigenen Bedeutungen aufladen, ist das Wort »Kindheit« stets von einer Aura der Düsternis umgeben, wohl am deutlichsten in dem ProsagedichtTraum und Umnachtung: »Manchmal erinnerte er sich seiner Kindheit, erfüllt von Krankheit, Schrecken und Finsternis, verschwiegener Spiele im Sternengarten, oder daß er die Ratten fütterte im dämmernden Hof.« Die Kindheit erscheint als etwas unwiederbringlich Verlorenes, aber zugleich als etwas, das nie wirklich be