: Elizabeth Taylor
: Angel Roman
: Dörlemann eBook
: 9783038209522
: 1
: CHF 17.90
:
: Erzählende Literatur
: German
: 400
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Angelica Deverell wächst Anfang des 20. Jahrhunderts in einer englischen Kleinstadt auf. Ihr Leben über dem Lebensmittelladen der Mutter empfindet sie als trostlos: Niemand erkennt, dass sie zu Größerem berufen ist. Schrei bend fantasiert sie sich in das prächtige Anwesen Paradise House und träumt von einer Karriere als Autorin. Als ein Verlag tatsächlich ihr überbordendes Manuskript annimmt, wird ihr märchenhafter Mädchentraum war.Auf der Höhe ihres Triumphes kauft sie Paradise House - doch Ruhm ist vergänglich und Angel verliert zunehmend den Bezug zur Realität.Mit sprachlicher Eleganz und subtilem Witz gelingt Eli zabeth Taylor das zugleich komische und zutiefst tragische Porträt einer ungeheuerlichen Schriftstellerin.

Elizabeth Taylor, geboren 1912 in Reading, lebte in Penn, Buckinghamshire. Sie war kurz Mitglied der KP, danach Anhängerin der Labour Party. Taylors erster Roman, At Mrs Lippincote's, erschien 1945. Elf weitere Romane, ein Kinderbuch und Kurzgeschichten folgten. Taylor befasst sich in ihren Werken vorwiegend mit den Facetten des Alltagslebens. 2007 verfilmte François Ozon ihren Roman Angel, der nun erstmals auf Deutsch vorliegt. Elizabeth Taylor starb am 19. November 1975. Im Dörlemann Verlag erschienen bisher die Romane Blick auf den Hafen (2011), Versteckspiel (2013), Angel (2018) sowie Mrs Palfrey im Claremont (2021), jeweils in der Übersetzung von Bettina Abarbanell.

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»›in die unermessliche Leere des Empyreums‹«, las Miss Dawson. »Und kannst du mir auch verraten, was ›Empyreum‹ heißt?«

»Es heißt«, sagte Angel. Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und blickte aus dem Klassenzimmerfenster zum Himmel jenseits der kahlen Bäume. »Es heißt ›die höchsten Himmelssphären‹.«

»Himmel, ja«, sagte Miss Dawson argwöhnisch und gab Angel das Schreibheft zurück. Sie stand vor einem Rätsel. Es war bekannt, dass das Mädchen oft schwindelte, und Miss Dawson hatte diesen seltsamen Aufsatz – »Sturm auf hoher See« – mit wachsender Unruhe gelesen, besorgt, dass sie ihn irgendwoher schon kannte oder jedenfalls kennen müsste. Einen Abend lang hatte sie aufgeregt in Pater, Ruskin und anderen nachgeblättert. Zwar missbilligte sie solche verschnörkelte Prosa, solche Crescendi und Alliterationen, doch bevor sie den Stil als blumig und vulgär abkanzelte, hoffte sie doch erst einmal herauszufinden, wer sein Urheber war.

Sie hatte sich der Direktorin anvertraut, die ebenfalls fand, dass Vorsicht geboten sei. Für ein fünfzehnjähriges Mädchen sei der Aufsatz erstaunlich, meinte sie – wenn er denn von einem fünfzehnjährigen Mädchen stamme.

»Hat sie so etwas schon öfter geschrieben?«

»Noch nie. Ein, zwei mit Tinte bekleckste Zeilen.«

»›Blitze schnürten und äderten den Himmel‹«, las die Direktorin. »Haben Sie bei Oscar Wilde nachgesehen?«

»Ja, und Walter Pater.«

»Sie müssen sie ins Gebet nehmen. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie uns zum Narren hält.«

Wenn Angel sich langweilte, wurde sie mitunter schwach, und einmal hatte sie überall herum erzählt, sie sei eines Winternachmittags auf dem Heimweg von der Schule durch die mit Gaslaternen beleuchteten Straßen verfolgt worden. Einem Polizisten gegenüber hatte sie allerdings später eingeräumt, dass sie sich auch getäuscht haben könnte.

Nachdem die anderen Mädchen nach Hause gegangen waren, stellte Miss Dawson sie zur Rede. Sie glaubt nicht, dass ich es geschrieben habe, dachte Angel und blickte verächtlich auf die wuschige kleine Frau mit dem ewig herunterrutschenden Kneifer und der Vogelnestfrisur. Was meint sie denn, wer es sonst geschrieben hat? Wer das überhaupt könnte? Was für eine Art, sein Leben zu verbringen – sich mit Unterrichtsstunden abplagen, den ganzen Rock voller Kreide, und abends in sein möbliertes Zimmer gehen, um den Shakespeare für den nächsten Tag zu bearbeiten – hier etwas kürzen, da etwas kaschieren, damit wir bloß das Wort ›Schoß‹ nicht zu lesen bekommen.

Sie blickte sich in dem trostlosen, allmählich dunkler werdenden Klassenzimmer um, sah die langen Bank- und Pultreihen und all die vertrauten Landkarten und religiösen Bilder. Früher war es ein Schlafzimmer in einem Privathaus namens Die vier Zedern gewesen, das jetzt diese so ziellos geleitete Schule für die Töchter der ortsansässigen Kaufleute abgab. Während öder Stunden malte Angel es sich oft wieder als Schlafzimmer aus, mit dicken zugezogenen Stoffvorhängen, einem Feuer im Kamin, einem weißen Satinnachthemd über dem Stuhl, und mittendrin sie selbst, die gerade von einer