: Vladimir Nabokov
: Dieter E. Zimmer
: Fahles Feuer
: Rowohlt Verlag Gmbh
: 9783644001398
: Nabokov: Gesammelte Werke
: 1
: CHF 10,00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 608
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Nabokovs vierzehnter Roman - der erste aus der Zeit nach «Lolita» - gibt sich als die kommentierte Ausgabe eines 999 Zeilen langen Gedichts mit dem Titel «Fahles Feuer», verfasst von John Shade, einem bedächtigen neuenglischen Lyriker und Professor, der von einem Mörder erschossen wurde, ehe er die letzte, die tausendste Zeile zu Papier bringen konnte. Der Herausgeber ist sein Kollege, Nachbar und angeblicher Freund Charles Kinbote. Dessen Kommentar verfehlt jedoch Shades ernstes Poem, in dem es um den Selbstmord der schwierigen und hässlichen Tochter, um den Tod und die Wahrscheinlichkeit eines Lebens danach geht, auf eine so dreiste wie groteske Weise. Kinbote gibt sich nämlich als der exilierte König von Zembla zu erkennen, Carl der Vielgeliebte, der Shade nicht dazu bringen konnte, seine Lebensgeschichte aufzuschreiben, und der es nun in Form von Anmerkungen zu «Fahles Feuer» selber tut. Ihm galt, so meint er, auch die Kugel, die Shade tötete. Freilich ist zweifelhaft, ob es sich so verhält. Nabokov lockt den Leser auf Rätselgänge, Licht des fahlen Feuers flackert von Spiegel zu Spiegel, Echos erklingen: ein Virtuosenstück, «eine Amalgamierung von Ernst und Spiel, einer anrührenden menschlichen Geschichte mit dem kühlen Kalkül einer Problemschachaufgabe». Dieter E. Zimmer

Vladimir Nabokov wird am 22. April 1899 in St. Petersburg geboren. Nach der Oktoberrevolution flieht die Familie 1919 nach Westeuropa. 1919-1922 in Cambridge Studium der russischen und französischen Literatur. 1922-1937 in Berlin, erste Veröffentlichungen, meist unter dem Pseudonym W. Sirin. 1937-1940 nach der Flucht aus Nazideutschland in Südfrankreich und in Paris, seit 1940 in den USA. 1961-1977 wohnt Nabokov im Palace Hotel in Montreux. Er stirbt am 2. Juli 1977.

Fahles Feuer


Ein Gedicht in vier Cantos

Erster Canto


(1) Ich war der Schatten eines Seidenschwanzes,

Den trügerisches Azurblau im Fensterglas erschlug;

Ich war der Schmutzfleck aschnen Flaums – und ich

Flog weiter, lebte fort im reflektierten Himmel.

Und auch von innen her verdoppelte

Ich selbst mich, meine Lampe, einen Apfel auf dem Teller:

Zog von der Nacht den Vorhang und ließ dunkles Glas

Nun alle Möbel übern Rasen hängen,

Und welch Entzücken, wenn ein Schneefall dann

(10) Mein Stückchen Rasen deckte und sich derart häufte,

Dass Stuhl und Bett genau auf jenem Schnee

Zu stehen kamen, draußen, im kristallnen Land!

 

Den Schnee noch mal: jede herbeigewehte Flocke,

Gestaltlos, langsam, taumelnd und opak,

Ein duffes Weiß im fahlen Weiß des Tages

Und abstrahierte Lärchen im neutralen Licht.

Und dann das graduelle Blau, verdoppelt,

Da Nacht Betrachter und Betrachtetes vereint,

Und morgens drücken Raureifdiamanten

(20) Erstaunen aus: Wessen gespornte Füße haben

Das leere Blatt des Wegs von links nach rechts gequert?

Im Code des Winters zeigen sie von links nach rechts:

Ein Punkt, ein Pfeil, der rückwärts weist; noch mal:

Punkt, Pfeil, der rückwärts weist … Fasanenspur!

Du Schöner mit dem Halsring, sublimierter Feldhahn,

Gleich hinter meinem Haus fandst du dein China.

Stammt er ausSherlock Holmes, der Bursche, dessen Spur

Nach hinten wies, als er die Schuh umdrehte?

 

Mich machten alle Farben glücklich: selbst das Grau.

(30) Es waren so geartet meine Augen, dass

Sie regelrechte Photos machten. Wenn ich’s zuließ

Oder es ihnen leise schaudernd anbefahl,

Wurde, was immer sich in meinem Blickfeld zeigte –

Ein Innenraum, das Hickorylaub oder die schlanken

Stilette eines frosterstarrten Stillicidiums –,

Der Rückwand meiner Augenlider aufgedruckt,

Wo es dann ein, zwei Stunden säumte, und in dieser Zeit

Braucht’ ich nicht mehr zu tun, als meine Augen

Zu schließen, und das Laub, die Innenszene oder die

(40) Trophäen an der Traufe waren abgebildet.

 

Ein Rätsel ist mir, dass ich auf dem Schulweg

Entlang der Lake Road die Veranda unsres Hauses

Erkennen konnte, während ich jetzt nicht einmal,

Obschon kein Baum dazwischentrat,

Das Dach erblicke. Womöglich hat ein Winkelzug im Raum

Bewirkt, dass eine Falte oder Furche den fragilen

Ausblick verschob, das Holzhaus zwischen

Goldsworth und Wordsmith dort auf seinem grünen Viereck.

 

Ich mochte einen jungen Hickorybaum besonders

(50) Mit seinem dunklen Jadeblattwerk und dem magren

Zerfurchten schwarzen Stamm. Der Sonnenuntergang

Bronzierte seine schwarze Borke, auf der nun

Der Blätterschatten lag wie losgebundene Girlanden.

Jetzt ist er stark und rau; er hat sich gut gemacht.

Durch seinen Schatten gleiten weiße Falter,

Lavendelb