: Charlotte Schmitt-Leonardy
: Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?
: C. F. Müller
: 9783811437197
: 1
: CHF 127.30
:
: Erzählende Literatur
: German
: 585
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Der Inhalt: Unternehmen haben im letzten Jahrhundert eine herausragende Bedeutung für die soziale Wirklichkeit erlangt: Sie sind global player, corporate citizen und zunehmend Adressat gesellschaftlicher Erwartungen. Die Attribution strafrechtlicher Verantwortung für Rechts(guts)verletzungen, die im Zusammenhang mit der Unternehmenstätigkeit stehen, scheint vielen der nächste logische Schritt zu sein. Dieser Schritt hin zu einer Unternehmensstrafe ist jedoch voraussetzungsreicher, als es die internationale Präferenz oder die gesetzgeberische Freiheit vermuten lassen. Die Autorin geht der Frage nach, was genau unter Unternehmenskriminalität zu verstehen ist, welches interpretatorische Konstrukt des Unternehmens überzeugt und inwieweit die Phänomenologie des Problems überhaupt für eine normative Entscheidung von Bedeutung ist. Sie entwirft das Unternehmen als primitiv intentionalen, korporativen Akteur, der Krimineller sui generis, aber nicht Strafrechtsperson sui generis sein kann und plädiert nach Analyse der Rechtslage de lege lata für die Einführung eines parastrafrechtlichen Systems.

Dr. Charlotte Schmitt-Leonardy, Akad. Mit., Universität des Saarlandes

I.Begriffliche Distinktion


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Es ist zu beobachten, dass die rechtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit Kriminalität aus dem Unternehmensbereich auf einem unübersichtlichen semantischen Feld geführt wird. Die BegriffeUnternehmen,Verband, Unternehmensträger, Körperschaft, Organisation undjuristische Person werden nebeneinander oder synonym verwendet und selten ist dabei zu erkennen, inwiefern sie voneinander abgegrenzt werden oder jeweils begrifflich konturiert sind. Diese Entwicklung der Diskussion ist insofern folgenreich, als die hier genannten Begriffe als Ausgangspunkte dogmatischer Überlegungen m. E. in vollkommen unterschiedliche Richtungen führen.[1] Erwägt man die Strafbarkeitjuristischer Personen, entfernt man sich von einem empirischen Bezugspunkt, der jedoch für das Verständnis der Kriminalität, auf die das Strafrecht eine Antwort finden will, unerlässlich ist. Eine rein theoretische Auseinandersetzung mit der Frage, ob juristische und natürliche Personen im Strafrecht gleichgestellt sind oder eine Analogie konstruierbar ist, erscheint erschöpfend erwogen und angesichts des oftmals apodiktisch angeführten gewichtigen Kriminalitätsproblems,[2] das die Unternehmenskriminalität darstellen soll, zumindest auch „l'art pour l'art“ zu sein. Es ist eine rechtlich spannende Auseinandersetzung mit einem möglichen Unternehmensträger, aber es bleibt eine reinrechtliche Diskussion.

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Fällt die Begriffswahl aufKollektive,Körperschaften oderVerbände,[3] wird zwar an die soziale Einheit – und damit auch an die kriminologisch relevante Grundlage – angeknüpft, jedoch wird damit das Problem sogleich am SpezifikumOrganisation verortet. Dies mag eine abstraktere, und damit weite, Herangehensweise sein, die den Blick sogleich auf Mechanismen der Verantwortungsdiffusion lenkt. Ihr ist auch abzugewinnen, dass sie die Metaebene strafrechtlich zu greifen versucht und rechtliche Überlegungen an den Besonderheiten einer Entität anknüpfen und damit an Plausibilität und Konsistenz gewinnen. Allerdings wird dadurch der Blick von wesentlichen Aspekten derWirtschaftskriminalität abgewendet, die – auch für die abstrakt anknüpfenden Ansätze[4] –a priori als übergeordneter oder zumindest involvierter Topos gilt. Insbesondere der Aspekt der Profitmaximierung oder Gewinnerzielungsabsicht geraten dann als vorpositive Momente in den Hintergrund. Dies mag innerhalb eines Ansatzes, der konsequenterweise von Verbandskriminalität in gleicher oder ähnlicher Form im Wirtschafts- wie im non-profit-Bereich ausgeht,[5] kohärent sein, jedoch bleiben jedenfalls der Einzelunternehmer und die Zwei-Personen-Konstellationen außer Betracht. Zudem ist diesen Überlegun