: Alexandra Windsberger
: Über den 'tatsächlichen Zusammenhang' im Bankrottstrafrecht Zugleich ein Beitrag zur Dogmatik des sog. bedingten Gefährdungsdelikts
: C. F. Müller
: 9783811444621
: 1
: CHF 81.80
:
: Strafrecht, Strafprozessrecht, Kriminologie
: German
: 255
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Eine (drohende) Insolvenz ist eine herausfordernde Ausnahmesituation für Unternehmer und zugleich eine besondere Gefahrensituation für die Gläubiger. Das Insolvenzstrafrecht belässt dem Schuldner in dieser Lage nur einen 'schmalen Verhaltenskorridor' erlaubter unternehmerischer Aktivität. Die Strafbestimmung des Bankrotts (§ 283 Abs. 1 StGB) sanktioniert hierbei nicht mehr vertretbare und daher wirtschaftswidrige Verhaltensweisen, sofern der wirtschaftliche Zusammenbruch (§ 283 Abs. 6 StGB) irgendwann tatsächlich eintritt. Damit ist die Frage der erforderlichen Verknüpfung zwischen der zunächst nur riskanten Handlung und der weiteren Zuspitzung der wirtschaftlichen Krise angesprochen: Hängt die Bestrafung des Spielers, der den Verlust seines Einsatzes in Kauf nimmt, wirklich vom konkreten Pech im Spiel ab oder bleibt der Spieler umgekehrt straffrei, wenn ihm das Glück hold ist und er das Spiel gewinnt und so einen Zusammenbruch verhindert? Die hierzu vom BGH eher uneinheitlich verwendete Rechtsfigur des 'tatsächlichen Zusammenhangs' ist nur schwer handhabbar, dazu in dieser Form rechtlich einzigartig und ohne dogmatische Unterfütterung. Sie ist gleichwohl nicht selten entscheidend für die Reichweite der Bankrottstrafbarkeit. Nachdem die Vorschrift des § 283 StGB durch die Aufgabe der 'Interessenformel' inzwischen aus ihrem Schattendasein befreit wurde, unternimmt die vorliegende Arbeit den Versuch, die materiell-rechtliche (Nicht-)Erforderlichkeit eines Zusammenhangs zwischen Bankrotthandlung und Bankrott in rechtsdogmatischer Hinsicht näher zu präzisieren. Die Arbeit wurde mit dem Dr.-Eduard-Martin-Preis 2017 der Universitätsgesellschaft des Saarlandes ausgezeichnet.

Frau Dr. jur. Alexandra Windsberger ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität des Saarlandes am Lehrstuhl von Prof. Dr. Marco Mansdörfer Strafrecht, einschließlich Wirtschaftsstrafrecht und Strafprozessrecht sowie am Lehrstuhl von Prof. Dr. Heinz Koriath Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie.

Teil 1 Die dogmengeschichtliche Entwicklung › A. Der „tatsächliche Zusammenhang“ im Geltungsbereich der Konkursordnung

A.Der „tatsächliche Zusammenhang“ im Geltungsbereich der Konkursordnung


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Von Vielen wird gegenwärtig im Rahmen der §§ 283 ff. StGB darauf hingewiesen, dass zwischen Bankrotthandlung und Zahlungseinstellung ein „Zusammenhang“ bestehen müsse, dessen Inhalt noch immer weitestgehend ungeklärt sei.[1] Auch in der Rechtsprechung des BGH ist das Erfordernis eines solchen „Zusammenhangs“ grundsätzlich anerkannt.[2] Hierbei stützt sich die neuere Judikatur des BGH zumeist auf eine Entscheidung des BGH aus dem Jahre 1951[3], die indessen § 240 der Konkursordnung in der Fassung vom 20.5.1898[4] zum Gegenstand hatte. Diese Entscheidung im ersten Band der amtlichen Sammlung verweist nunmehr ihrerseits auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts zur Konkursordnung.[5] Erforderlich ist es daher, gewissermaßen die Primärquellen des „tatsächlichen Zusammenhangs“ näher zu untersuchen.

Teil 1 Die dogmengeschichtliche EntwicklungA. Der „tatsächliche Zusammenhang“ im Geltungsbereich der Konkursordnung › I. Der „tatsächliche Zusammenhang“ im Kontext des einfachen Bankrotts

I.Der „tatsächliche Zusammenhang“ im Kontext des einfachen Bankrotts


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Das Erfordernis eines „tatsächlichen Zusammenhangs“ entstammt einer Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahre 1881.[6] Gegenstand der reichsgerichtlichen Rechtsprechung zum „tatsächlichen Zusammenhang“ waren die §§ 209 ff. KO in der Fassung vom 10.2.1877:

§ 209 KO: Schuldner, welche ihre Zahlungen eingestellt haben, oder über deren Vermögen das Konkursverfahren eröffnet worden ist, werden wegen betrüglichen Bankerutts mit Zuchthaus bestraft, wenn sie in der Absicht, ihre Gläubiger zu benachteiligen, 1. Vermögensstücke verheimlicht oder bei Seite geschafft haben, 2. Schulden oder Rechtsgeschäfte anerkannt oder aufgestellt haben, welche ganz oder teilweise erdichtet sind, 3. Handelsbücher zu führen unterlassen haben, deren Führung ihnen gesetzlich oblag, oder 4. ihre Handelsbücher vernichtet oder verheimlicht oder so geführt oder verändert haben, dass dieselben keine Übersicht des Vermögenszustandes gewähren.[7]

§ 210 KO: Schuldner, welche ihre Zahlungen eingestellt haben, oder über deren Vermögen das Konkursverfahren eröffnet worden ist, werden wegen einfachen Bankerutts mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft, wenn sie 1. durch Aufwand, Spiel oder Differenzhandel mit Waren oder Börsenpapieren übermäßige Summen verbraucht haben oder schuldig geworden sind, 2. Handelsbücher zu führen unterlassen haben, deren Führung ihnen gesetzlich oblag, oder dieselben verheimlicht, vernichtet oder so unordentlich geführt haben, dass sie keine Übersicht ihres Vermögenszustandes gewähren, oder 3. es gegen die Bestimmung des Handelsgesetzbuchs unterlassen haben, die Bilanz ihres Vermögens in der vorgeschriebenen Zeit zu ziehen.[8]

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Die Konkursordnung in der Fassung vom 10.2.1877 basierte größtenteils auf den konkursstrafrechtlichen Bestimmungen des code de commerce, den reichsgesetzlichen Bestimmungen des 19. Jahrhunderts, mithin den §§ 259 ff. des Preußischen StGBs sowie den §§ 281 ff. des StGBs für das deutsche Reich.[9] Die erste Konkursordnung regelte, wie bei gleichzeitigem Andrängen mehrerer Gläubiger gegen einen