Nach den Regeln der intellektuellen Konfektionsindustrie muss ein Buch, sobald es einen theoretischen Anspruch erhebt, eine eigentümliche Begriffsschöpfung in sich tragen. Der Leitsatz der Branche lautet: Einzige Aufgabe des Philosophen ist, stets von Neuem Begriffe zu schneidern. In der hart umkämpften Welt desPrêt-à-penser konkurrieren die Topmodelle der Deutung um die beschränkte Aufmerksamkeit einer übersichtlichen Klientel. Ein Autor macht sich durch sein eigenes Vokabular identifizierbar. Hier wie überall kennt die Akzeleration keinen Halt. Manche Nachwuchstheoretiker bringen es bereits fertig, alle fünf Minuten einen neuen Begriff per Twitter in die Welt zu schleudern. Dieser wird dann von Followern wie ein Abzeichen getragen, um die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Denktrend zu signalisieren. Dabei müssen Begriffsschneider so wenig fürchten, von Kollegen widerlegt zu werden, wie sie selbst andere widerlegen wollen. Das wäre so unflätig, wie wenn auf dem Laufsteg zwei Mannequins anfingen, sich zu prügeln. Die Zeit der großen Duelle ist vorüber. Alle leben in friedlicher Koexistenz, sitzen artig in denselben Talkshows, liefern nacheinander ihre eigene Interpretation des Weltgeschehens und beglückwünschen sich gegenseitig für die anregende Debatte. Jeder soll nach seinem Jargon selig werden. Von den Jargonauten dürfen wir aber nicht erwarten, dass sie das Goldene Vlies finden. Sie haben es zur Chimäre erklärt.
Selbstverständlich reicht es für einen saisonalen Neologismus nicht aus, neu zu sein. Er muss auch vorRadikalität strotzen,unkonventionelle Antworten liefern, einenverstörenden Blick auf das Gewöhnliche werfen, den Leserprovozieren und ihn zumUmdenken bringen. Ließe sich der Zustand der Kultur nach den Klappentexten der Bestseller beurteilen, erlebten wir die permanente Revolution. Seltsam ist nur, dass man zur gleichen Zeit überall hören kann: Hilfe, wir ersticken zwischen den aufgeblähten Zitzen der Konsenskultur! Alles scheint voraussehbar, selbstgefällig und lau. Wegen Konformismus beklagen sich ja alle über alle: die Journalisten über die