Die Balkanroute … genau genommen hatte ich, noch bevor mir überhaupt der Gedanke zu diesem Buch kam, schon verschiedentlich darüber nachgedacht, mich auf eben dieser Route auf eine Reise zu begeben, so wie sie meine Schwester im Frühling des Jahres 2002 unternehmen musste, wenn auch nicht auf dieselbe Art und Weise oder unter denselben Bedingungen. Denn was mich an erster Stelle interessierte, war, einen – und sei es noch so vagen – Eindruck von dem Weg zu bekommen, den sie zurückgelegt hatte, um dadurch ihre dabei erlebten Strapazen und Leiden besser zu verstehen. Dabei war mir der Unterschied zwischen uns beiden sehr wohl bewusst: Meine Schwester kam aus dem Süden und wollte gen Norden, war geflohen aus der Hölle einer Diktatur. Sie hatte keinen anderen Ausweg für sich gefunden, als sich den Launen und Plänen von Menschenschmugglern anzuvertrauen, die taten, was sie schon immer getan haben (und wer weiß wie lange noch tun werden): Flüchtlinge wie sie über eben jene Balkanroute zu schleusen. Was mich betrifft, so hatte ich selbst gut zwei Jahrzehnte zuvor aus ebenderselben höllischen Diktatur meine Flucht angetreten, um genau zu sein am 28. Oktober 1980. Doch ein Vergleich meiner Flucht mit der ihren ist ein Ding der Unmöglichkeit, selbst wenn auch ich einer Fülle von Gefahren und Risiken ausgesetzt gewesen sein mochte, etwa der, Grenzer könnten unterwegs herausfinden, dass einige meiner persönlichen Dokumente gefälscht waren. Und selbst eingedenk der Tatsache, dass ich ungefähr denselben Weg über den Balkan genommen hatte, den auch sie zurücklegen musste. Doch ich hatte damals auf mich selbst vertraut und nicht auf Schmuggler oder Fluchthelfer, hatte einige der Papiere, die mir helfen sollten, die Grenze zwischen dem Irak und der Türkei zu überwinden, eigenhändig gefälscht. Nach der gelungenen Grenzüberquerung war ich mit der Eisenbahn von Istanbul über Sofia, Belgrad, Budapest und Prag nach Berlin und von dort weiter nach Hamburg gefahren, eine Reise mithin, die einem heute recht komfortabel anmutet im Vergleich zu den Strapazen, die meine Schwester auf der Balkanroute zu überstehen hatte, bis sie schließlich mit dem Flugzeug in Frankfurt landen konnte.