2. Recherche
Da mir die Ärztin auch nicht helfen kann, begebe ich mich selbst auf Recherche. Das Internet. Ärzten habe ich ohnehin nie getraut, die werden doch alle von der Pharmaindustrie eingekauft, denke ich, und starte meinen Laptop, Marke Äpfelchen. Ich durchblättere ein paar Links zum Thema Hautcremen. Hauptsächlich Seiten von Marken, die ich ohnehin kenne, nein, das ist nichts, ich will auch nicht »Toddlers& Tiaras« sehen, eine Sendung, in der Dreijährige den Tanzstil der neuen Popstars imitieren und Preise gewinnen können, auch das lähmt mich im Moment.
Auf Youtube entdecke ich, nachdem ich es erfolgreich geschafft habe, alle Werbeseiten zu schließen, eine Dokumentation über Männer und Frauen, die zu Bäumen werden. »Treeman« nennt sich das, was mich aus einem borkenartigen, mit Warzen übersäten Körper mit traurigen Augen ansieht. Das sei eine Hautkrankheit. Ich spüre meine Zunge nicht mehr, als ich die Dokumentation über »Treeman« weiterverfolge.
»I become a tree«, sagt der Herr mit den schlitzartigen Augen.
Der Baummensch aus Indonesien sieht verstört aus. Sein Rückgrat ist geknickt, weil seine Rindenhände und Rindenbeine so schwer sind. Ich bin paralysiert und starre auf den Bildschirm. Die Ärzte versuchen offenbar, ihn mit Vitamin A, das ihm über eine bestimmte Creme direkt auf die Haut übertragen wird, zu heilen. Lächerlich, denke ich. Der Schmerz in seinen Augen klappt nach innen. Ich habe diese Augen schon an Tieren gesehen, wenn sie eingesperrt in Käfigen saßen. Sie hatten ihren Blick in einen inneren Raum zurückgezogen, der sie beschützte. Mit einem Mal kann ich nicht mehr atmen. Ein Moment der Bestürzung.
Schließlich hört die Schlucksperre auf. Ich google nach einigen der Bilder, drucke sie aus und stopfe sie in meine Tasche.
Als ich mich anziehe, erinnere ich mich wieder: Die anderen Kinder wollten keine Schildkröten. Eher Gameboys oder Barbies. Aber ich war ein komisches Kind, denke ich. Ich bohrte mit meinem Kopf Höhlen in die Bettdecke, um mich zu verstecken. Mir war immer kalt und meine Handteller wurden leicht feucht. Oft träumte ich von kuscheligen, winzigen Zimmern, in die ich mittels einer Rutsche gelangte. Auch sie waren etwas Ähnliches wie Höhlen. So wie eine Schildkröte aus Hölzern Zelte aufschichtet, schichtete ich hinter dem Haus meiner Eltern Brennholz auf, bis kleine Häuschen entstanden. In denen ließ ich mich und meine Reptilienroboter wohnen. Das waren Triceratopse mit harten Schädeln, Godzillas aus Plastik mit zwei Köpfen, haarige Monster aller Art und komische Drachen, deren Köpfe innen hohl waren, und die man leicht eindrücken konnte. Ich strickte ihnen Gewänder, ließ sie mit mir mitessen. Abends schliefen die Dinosaurier in meinem Bett. Der Geruch nach Plastik und Kunststoff erwärmte mein Herz. Es war mein Geruch nach Heimat, nach Erde, nach Glücklichsein geworden. Manchmal wünschte ich mir den Hals eines Brontosaurus, auf dem ich hinabrutschen konnte, wieder und wieder. Oder ich stellte mir vor, an Hörner geklammert auf einem Triceratops zu reiten. Ich sammelte die Monster, Dinosaurier und Drachen in einer Schublade, die mir bald heilig wurde. Nach der Schule baute ich Türme oder Straßen aus ihnen, ich ließ sie die Haare der batteriebetriebenen Ponys und Bar