: Vladimir Nabokov
: Dieter E. Zimmer
: Maschenka
: Rowohlt Verlag Gmbh
: 9783644001688
: 1
: CHF 10.00
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: Hauptwerk vor 1945
: German
: 192
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Berlin in den zwanziger Jahren: In einer kleinen Pension wohnt eine Gruppe russischer Emigranten. Einer von ihnen, Lew Ganin, durchlebt in der Erinnerung noch einmal eine verlorene, leidenschaftlich zurückersehnte Liebe. «Nabokov ist einer der gößten Erotiker der Literatur unseres Jahrhunderts, weil er uns alle Schattierungen und Grade der Zuneigung eines Menschen zu einem anderen sehen und spüren lässt, und dies mit ganz unauffälligen Mitteln.» (Frankfurter Allgemeine Zeitung)

Vladimir Nabokov wird am 22. April 1899 in St. Petersburg geboren. Nach der Oktoberrevolution flieht die Familie 1919 nach Westeuropa. 1919-1922 in Cambridge Studium der russischen und französischen Literatur. 1922-1937 in Berlin, erste Veröffentlichungen, meist unter dem Pseudonym W. Sirin. 1937-1940 nach der Flucht aus Nazideutschland in Südfrankreich und in Paris, seit 1940 in den USA. 1961-1977 wohnt Nabokov im Palace Hotel in Montreux. Er stirbt am 2. Juli 1977.

Vier


Als er am Dienstag zu später Morgenstunde erwachte, spürte er ein Ziehen in den Waden. Er stemmte die Ellbogen aufs Kissen und seufzte ein paarmal, verdutzt und erstaunt über die Seligkeit seiner Erinnerungen an die Geschehnisse dieser Nacht.

Der Morgenhimmel war mild und dunstig weiß. Die Fensterscheiben erbebten in geschäftigem Rattern.

Er sprang mit entschlossenem Schwung aus dem Bett und begann sich zu rasieren. Heute machte ihm das ein besonderes Vergnügen. Wer sich rasiert, wird jeden Morgen einen Tag jünger. Und Ganin hatte das Gefühl, dass er heute ganze neun Jahre jünger geworden war. Vom flockigen Seifenschaum erweicht, fielen die Stoppeln auf seiner straffen Haut mit gleichmäßigem Knacken der kleinen stählernen Pflugschar des Rasierapparats anheim. Während des Rasierens bewegte Ganin immer wieder die Augenbrauen, und als er sich danach in der Badewanne aus dem Waschkrug mit kaltem Wasser übergoss, strahlte er vor Freude. Dann bürstete er sich das feuchte schwarze Haar, zog sich rasch an und verließ das Haus.

Außer den Tänzern, die meist erst gegen Mittag aufstanden, war vormittags gewöhnlich keiner der anderen Mieter in der Pension. Alfjorow hatte sich zu einem Bekannten aufgemacht, mit dem er irgendein Geschäftsunternehmen gründen wollte, Podtjagin war zur Polizei gegangen, um erneut zu versuchen, sein Ausreisevisum zu bekommen, und Klara, die sich zum Dienst bereits verspätet hatte, stand an der nächsten Straßenecke, drückte eine Tüte mit Orangen an die Brust und wartete auf die Straßenbahn.

Ganin stieg sehr ruhig die Treppen zum ersten Stock eines ihm wohlbekannten Hauses hinauf und zog am Ring der Wohnungsklingel. Ein Dienstmädchen öffnete die Tür einen Spalt, ohne die Sicherheitskette aufzuhaken, warf einen Blick auf ihn und sagte, Fräulein Rubanski schlafe noch.

«Das ist mir egal, ich muss sie sprechen», antwortete Ganin, schob die Hand durch den Türspalt und hakte selber die Kette auf.

Das Dienstmädchen, eine blasse, stämmige Person, gab Laute der Empörung von sich, doch Ganin blieb bei seiner Entschlossenheit, schob sie mit dem Ellbogen beiseite und schritt ins Halbdunkel des Korridors, wo er an eine der Türen klopfte.

«Wer ist da?» Ljudmilas Stimme klang morgens ziemlich heiser.

«Ich. Mach auf!»

Sie trippelte auf bloßen Füßen durchs Zimmer, schloss die Tür auf und sprang, ohne Ganin auch nur anzublicken, sofort wieder zum Bett zurück und mit einem Satz unter die Decke. Nur ein Stückchen Ohr war zu sehen und verriet, dass sie vor sich hin lachte und darauf wartete, dass Ganin näher kam.

Doch er machte mitten im Zimmer halt, blieb dort eine ganze Weile stehen und klimperte mit dem Kleingeld in den Taschen seines Regenmantels.

Ljudmila drehte sich plötzlich auf den Rücken und breitete lachend die dünnen nackten Arme aus. Der Morgen stand ihr nicht; ihr Gesicht war blass und gedunsen, und ihr gelbes Haar sträubte sich.

«Nun komm doch schon!», bettelte sie und schloss die Augen. Ganin