1.
Wenn die Not am größten ist, flötet ein kleines Vögelchen die Melodie der Hoffnung in das verzweifelte Ohr – und schwingt sich auf Adlerflügeln hoch in die Luft.
Honduras 1982.
Hier schien es nichts zu geben, was ihr helfen könnte – gar nichts. Angst und Verzweiflung drohten ihr die Kehle abzuschnüren. Ihre Augenlider zogen sich zusammen, als könnte sich dadurch ihr Blick schärfen. Tief in ihr glomm noch ein letzter Funken Hoffnung, wehrte sich hartnäckig gegen jede Realität.
Der quälende Glutball näherte sich mit nötigender Langsamkeit dem unebenen, sich scharf abgrenzenden Horizont. Der Himmel ging vom strahlend blassen Blau in ein schimmerndes Türkis über. Die Schatten wurden länger, schoben sich einem Aufatmen gleich über das durstig hechelnde Land. Der Tag ging zur Neige.
Gott sei Dank!
Ein heißer Tag, dem andere heiße Tage vorangegangen waren, so wie das nun mal in diesem Land ist.
Eine heiße Hand wischte so hilf- wie nutzlos über eine ebenso heiße Stirn. Es gab nichts Kühles in diesem gottverdammten Land – nicht einen auch noch so kleinen Fleck. Der Weg bog sich unter der flimmernden Hitze und der Langeweile. Die junge Frau ging weiter auf die ärmlichen Hütten zu, die auf sie in einer unrealistischen Weise behaglich wirkten. Sie versprachen Ruhe – eine Pause – endlich auf einem Stuhl sitzen – etwas zu trinken
… und schließlich noch so was wie Hoffnung auf etwas, das es allem Anschein nach gar nicht gab …
Ihre Schritte waren kurz und ohne Kraft. Hitze, Staub, Schweiß und Durst hatten ihrer Erscheinung zugesetzt und sie ihrer trostlosen Umgebung angepasst, hatten ihrer einst weißen Baumwollbluse zu einem fleckigen Grau verholfen,
die hellbraune Leinenhose zerknittert und ihr an Gesäß und Knien dunkle Stellen beigebracht. Die leicht mandelförmigen Augen und die Wölbung ihrer Wangenknochen zeugten von einem Schuss Indioblut, der irgendwann einmal durch die Adern ihrer Ahnenreihe geströmt sein musste. Es mochten die Gene eines Südeuropäers – vielleicht irgendeines Abenteurers oder Conquistadors – und die eines wilden Indiomädchens gewesen sein, die sich miteinander vermischt hatten. Vor langer Zeit, vielleicht auf einer schmutzigen Decke im Gebüsch oder auch in einem mit Satin bezogenen Himmelbett, wer weiß.
Sie strich sich mit einer müden Bewegung das strähnige Haar aus dem Gesicht und blinzelte in die schmerzende Sonne, die in diesem Moment die Hügel jenseits der Hütten berührte.
Gott sei Dank?
Die herabsinkende Nacht machte zwar alledem, was hinter ihr lag, ein gnädiges Ende, aber sie würde auch unerbittliche Fesseln um sie legen und sie zur Untätigkeit zwingen – lange, qualvolle Stunden, eine weitere Nacht, deren Maß an Leid sie nicht abzuschätzen vermochte.
Die junge Frau nahm kaum Notiz von dem holprigen Weg, der inzwischen zu einer staubigen, tristen Straße geworden war, flankiert von Behausungen aus Brettern, Steinen und Wellblech, die unter Sonne, Regen und Wind ebenso gelitten hatten wie unter der Nachlässigkeit ihrer Bewohner. Ein paar Hühner rannten auf langen Beinen vor ihr davon, schüttelten den Staub aus ihrem Gefieder und machten sich wieder auf die mehr oder meist weniger erfolgreiche Suche nach etwas Fressbarem. Einige Palmen verharrten reglos in der stehenden Luft hinter der schäbigen Kulisse der Hütten, geduldig auf die Dunkelheit wartend.
Zu anderen Jahreszeiten stürzten hier wolkenbruchartige
Regengüsse nieder und verwandelten diese Straße zuweilen in ein schlammiges, grenzenloses Etwas, auf dem trübe Fluten dahin schossen, weggeworfene Bierdosen, Plastiktüten und Unrat mit sich reißend, und manchmal auch Hühner oder anderes Kleingetier, das sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen konnte. Dann roch die feuchte Luft nach Moder und Vergänglichkeit, legte sich schwer auf die Atemwege und erweckte Schwärme von Moskitos zum Leb