: H. G. Wells
: Der Luftkrieg
: Books on Demand
: 9783743149465
: 1
: CHF 0.90
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: Hauptwerk vor 1945
: German
: 313
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
"Der Betrieb da droben", sagte Mr. Tom Smallways,"geht immerzu weiter. Sollt's nicht glauben, daß er überhaupt noch weitergehen könnte!" sagte Mr. Tom Smallways. Es war lang vor Beginn des Luftkriegs, daß Mr. Smallways diese Bemerkung machte. Er saß auf dem Zaun am Ende seines Gartens und betrachtete die großen Gaswerke von Bun Hill mit Augen, in denen sich weder Beifall noch Tadel spiegelte. Über den zusammengedrängten Gasometern erschienen drei fremdartige Gebilde, dünne, schwerfällig schaukelnde Blasen, die schlapp hin und her schwankten und größer und größer wurden - Ballons, die eben für den Samstag-Nachmittagsaufstieg des südenglischen Aeroklubs gefüllt wurden."Jeden Samstag steigen sie", sagte sein Nachbar, Mr. Stringer, der Milchmann."'s ist kaum ein paar Tage her, da war ganz London auf den Beinen, um'nen Ballon steigen zu sehen. Und heut hat jedes elende Nest im Land seine Wochenausflüge - will sagen: -aufflüge! Reinewegs'ne Rettung für die Gasgesellschaften!"" Letzten Samstag hab' ich drei Fuhren Kies von meinen Kartoffeln weggekarrt", sagte Mr. Tom Smallways."Drei Fuhren, die die da droben runtergeschmissen haben - als Ballast! Die Hälfte von den Pflanzen war kaputt und die andere Hälfte verschüttet.""Damen steigen auch mit auf, sagen sie.""Heißen's ja wohl Damen!" meinte Mr. Tom Smallways."Na - mein Begriff von Damen ist das nicht - in der Luft rumfliegen und den Leuten Kies auf die Köpfe schmeißen! Ich jedenfalls bin nicht gewöhnt, so was Damen zu nennen - so oder so!" Mr. Stringer nickte beifällig mit dem Kopf, und eine Weile noch schauten sie nach den schwellenden Klumpen mit einem Ausdruck, der sich aus Gleichgültigkeit in Mißbilligung verwandelt hatte. Mr. Tom Smallways war Grünkramhändler von Beruf und aus Liebhaberei Gärtner. Jessika, seine kleine Frau, besorgte den Laden; und der Himmel hatte ihn für eine friedvolle Welt, leider aber keine friedvolle Welt für ihn erschaffen. Er lebte in einer Welt voll eigensinnigen und unaufhörlichen Wechsels und noch dazu in einem Teil derselben, wo die Wirkungen dieses Wechsels schonungslos aufdringlich waren. Sein eigener Grund und Boden, den er bebaute, war voller Unbestand; sogar seinen Garten hatte er nur in Jahrespacht - ein Riesenplakat, das ihn nicht etwa als Garten, sondern als günstigen Bauplatz anpries, überschattete ihn. Er war Gartenbauer auf Kündigung - das letzte Stückchen Erdreich in einem von lauter neuen, städtischen Gegenständen überfluteten Distrikt. Er tröstete sich ...

Herbert George Wells lebte von 1866 bis 1946 und war ein englischer Schriftsteller.

III

Eine ganze Weile beschäftigten die Möglichkeiten des Motorrads Berts Geist derart, daß er der neuen Richtung, in der die strebende Menschenseele Betätigung und Auffrischung fand, gar keine Beachtung schenkte. Er merkte nicht, daß der Typ Motorrad, genau so wie der Typ Fahrrad, sich einbürgerte und das Abenteuerliche der Erscheinung verlor. Tatsache ist, so seltsam dies auch erscheinen mag, daß der erste, der diese neue Entwicklung bemerkte, Tom war. Aber seine Gärtnerei lehrte ihn den Himmel beobachten; und die Nachbarschaft der Bun Hiller Gaswerke und des Kristallpalastes, von dem aus unaufhörlich Aufstiege stattfanden, ferner das Auswerfen des Ballastes auf seine Kartoffeln – all das im Verein trug dazu bei, seinem widerstrebenden Geist die Tatsache aufzudrängen, daß die Göttin des Wandels ihre aufreizende Tätigkeit dem Himmel zulenkte. Der erste große Sturmlauf in Aeronautik begann.

Grubb und Bert hörten zuerst davon in einem Tingeltangel; dann wurde es ihrem Gehirn durch den Kinematographen eingeprägt, dann ward Berts Phantasie durch eine Fünfzigpfennig-Ausgabe des klassischen aeronautischen Werks von Mr. George Griffith: »Der Wolkensegler« entflammt, und so bemächtigte sich die Sache nach und nach der beiden.

Das augenfälligste war in erster Linie die Zunahme des Ballons. Sie fingen an, den ganzen Himmel über Bun Hill unsicher zu machen. Besonders an Mittwoch- und Sonnabend-Nachmittagen konnte man kaum eine Viertelstunde nach dem Himmel schauen, ohne irgendwo einen Ballon zu entdecken. Eines schönen Tags, als Bert mit dem Rad nach Croydon fuhr, hielt ihn der Aufstieg eines riesigen, polsterförmigen Ungetüms vom Rasenplatz des Kristallpalastes aus auf und nötigte ihn abzusteigen und zu beobachten. Es sah aus wie ein Keilkissen mit einer gebrochenen Nase; darunter, verhältnismäßig klein, war ein starres Rahmenwerk, das einen Menschen trug, eine Maschine mit einer Schraube vorn, die sich rasch drehte, und einer Art Steuer aus Segelleinen hinten. Das Rahmenwerk sah aus, als ziehe es den widerstrebenden Gaszylinder hinter sich her, etwa wie ein flinker, kleiner Terrier, der der Gesellschaft einen scheuen, gasgeschwollenen Elefanten präsentiert. Das kombinierte Ungetüm bewegte sich wirklich vorwärts und steuerte. Es stieg ungefähr 1000 Fuß in die Höhe (Bert hörte die Maschine), segelte nach Süden davon, verschwand über den Hügeln, erschien dann wieder als kleine blaue Silhouette, die jetzt sehr rasch vor einer sanften Südwest-Brise herflog, fern im Osten, kehrte dann zurück zu den Türmen des Kristallpalastes, umkreiste sie, wählte eine Stelle für den Abstieg und versank vor Berts Blicken.

Bert seufzte tief auf und wandte sich wieder seinem Motorrad zu. Und dies war nun der Beginn einer ganzen Reihenfolge von seltsamen Erscheinungen am Himmel – Zylinder, Kegel, birnenförmige Ungetüme, zuletzt ein wunderbar glitzerndes Ding aus Aluminium, das Grubb, in einer unklaren Ideenverbindung mit Panzerplatten, für ein Kriegsluftschiff zu halten geneigt war.

Darauf folgten wirkliche Flugexperimente.

Das waren jedoch keine Experimente, die von Bun Hill aus zu sehen waren; es waren Experimente, die auf Privatgrundstücken oder andern eingeschlossenen Plätzen unter günstigen Bedingungen vor sich gingen, und die bis zu Grubb und Bert nur durch Vermittlung von Fünfpfennig-Zeitungen oder Kinematographen-Vorstellungen durchdrangen. Immerhin drangen sie äußerst eindringlich durch; und wenn in diesen Tagen irgendwer irgendwen an einem öffentlichen Ort in lautem, überzeugtem und überzeugendem Ton sagen hörte: »Esmuß ja kommen!« so war zehn gegen eins zu wetten, daß vom Fliegen die Rede war. Und Bert holte sich einen Kistendeckel und malte in korrektem Plakatstil folgende Inschrift, die Grubb dann ins Fenster stellte: »Herstellung und Reparatur von Aeroplanen.« Bert war selbst ordentlich bestürzt darüber – es hieß doch eigentlich sein Geschäft mächtig leicht nehmen! – aber die meisten Nachbarn, besonders die Sportmenschen unter ihnen, zollten der Sache vollsten Beifall. Jedermann redete vom Fliegen, jedermann wiederholte wieder und wieder: »Esmuß kommen!« Und dann – nun ja – kam esnicht. Irgendwie hatte es Haken. Fliegen taten sie – das war ja richtig. Fliegen – in Maschinen, schwerer als Luft. Aber immer krachte die Geschichte. Manchmal war’s die Maschine, manchmal war’s der Aeronaut, gewöhnlich waren’s alle beide. Maschinen, die Flüge von drei oder vier Meilen machten und heil wieder herabkamen, stiegen das nächste Mal zu jähem Verderben auf. Es schien geradezu unmöglich, daß man sich auf die Dinger verlassen konnte. Der Wind warf sie um; die Luftströmungen über der Erde warfen sie um, ein flüchtiger Gedanke im Gehirn des Luftschiffers warf sie um … Und selber warfen sie sich um … ganz einfach. »Die ›Stabilität‹ ist’s …« sagte Grubb, seine Zeitung nachbetend. »Sie kippen und kippen und kippen, bis sie sich zu Tod gekippt haben!«

Die Experimente hörten nach