Kapitel 2
Ich habe mich viel zu sehr daran gewöhnt, mich selbst von außen zu betrachten, gleichzeitig Maler und Modell zu sein; kein Wunder also, wenn meinem Stil die gesegnete Anmut der Natürlichkeit versagt bleibt. Wie ich es auch anstelle, es gelingt mir nicht, in meine ursprüngliche Hülle zurückzuschlüpfen, geschweige denn mich in meinem alten Selbst heimisch zu fühlen; die Unordnung dort ist viel zu groß; Dinge sind verrückt worden, die Lampe ist schwarz und tot, meine Vergangenheit liegt in Fetzen verstreut auf dem Boden.
Eine recht glückliche Vergangenheit, darf ich wohl sagen. Ich besaß in Berlin eine kleine, aber hübsche Wohnung, dreieinhalb Zimmer, einen sonnigen Balkon, fließend Warmwasser, Zentralheizung; Lydia, meine dreißigjährige Frau, und Elsi, unser siebzehnjähriges Hausmädchen. Ganz in der Nähe befand sich die Garage, wo jener reizende kleine Wagen stand, ein dunkelblauer Zweisitzer, auf Abzahlung gekauft. Auf dem Balkon wuchs tapfer, wenn auch langsam, ein buckliger, rundköpfiger, grauhaariger Kaktus. Ich kaufte meinen Tabak immer im selben Geschäft und wurde dort mit strahlendem Lächeln begrüßt. Ein ähnliches Lächeln hieß meine Frau in dem Laden willkommen, der uns mit Butter und Eiern versorgte. Samstagabends gingen wir in ein Café oder ins Kino. Wir gehörten zur Creme der gepflegten Mittelschicht, jedenfalls dem äußeren Anschein nach. Allerdings zog ich, wenn ich vom Büro nach Hause kam, nicht die Schuhe aus, um mich mit der Abendzeitung aufs Sofa zu legen. Auch bestand die Unterhaltung mit meiner Frau nicht ausschließlich aus kleinlichen Zahlwörtern. Und erst recht klebten meine Gedanken nicht ununterbrochen an den Abenteuern meiner Schokoladenfabrikation. Ich darf sogar gestehen, dass gewisse bohemehafte Neigungen meinem Wesen nicht ganz fremd waren.
Was meine Einstellung gegenüber dem neuen Russland betrifft, so möchte ich geradeheraus erklären, dass ich die Ansichten meiner Frau nicht teilte. Auf ihren geschminkten Lippen erhielt der Begriff ‹Bolschewik› einen Unterton von altgewohntem und trivialem Hass – nein, ‹Hass› ist hier wohl ein zu starkes Wort. Es war etwas Hausbackenes, Einfaches, Weibliches: Sie mochte die Bolschewiki nicht, so wie man Regen nicht mag (besonders sonntags) oder Wanzen (besonders in einer neuen Wohnung), und Bolschewismus bedeutete für sie ein Ärgernis, dem gewöhnlichen Schnupfen vergleichbar. Sie hielt es für selbstverständlich, dass die Tatsachen ihre Meinung bestätigten; alles lag klar auf der Hand, da gab es nichts zu diskutieren. Bolschewiken glaubten nicht an Gott; das war ungezogen von ihnen, aber was konnte man von Sadisten und Rowdys schon anderes erwarten?
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