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Erst am nächsten Morgen können wir endlich weiterfliegen, nach einer schlaflosen Nacht im Flughafenhotel, in einem Zimmer mit grünen Vorhängen und einem zu kleinen Doppelbett, in das wir uns abends erschöpft legten und unsere Füße zusammensteckten so wie immer, ich vergrub mich in Samuels Armen, oder er sich in meinen, und wartete leise auf seine Tränen, die nicht kamen, stattdessen schlief er sofort ein, ich atmete tief und sog noch den Duft seines schlafenden Körpers in mich auf, bevor ich mich vorsichtig aus seinen schlaffen, schweren Armen wand und leise zum Fenster schlich, vor dem es endlich aufgehört hatte zu schneien. Große gelbe Wägen räumten den Schnee von den Straßen, der von der Nachtbeleuchtung orange erschien, und ich versuchte mich an Salvador zu erinnern, als ich ihn das erste Mal auf einem Foto gesehen hatte, ohne dass Samuel es mir gezeigt hätte, das mir durch Zufall in die Hände gefallen war, bei unserem Umzug, ein breiter, kleiner Mann mit erschreckend ernstem Blick. Samuel riss es mir aus den Händen, seit Jahren hatten sie nicht mehr miteinander gesprochen, seit der Scheidung, erzählte er, und ich drängte ihn immer wieder dazu, ihn anzurufen, fünfzehn Jahre sind doch lang genug, sagte ich, in fünfzehn Jahren kann man verzeihen, doch er blieb hart, du hast keine Ahnung, sagte er, du denkst, er wird sich freuen, wenn ich am Telefon bin, aber du liegst völlig falsch, erklärte er mir, er interessiert sich überhaupt nicht für mich, so etwas verstehst du nicht, dein Vater ist ganz anders, und ich fühlte mich plötzlich schlecht und ließ das Thema fallen. Erst als wir das erste Mal zusammen in Managua waren, erfuhr ich, dass es einen neuen Mann an Martas Seite gab, José, einen älteren, gut aussehenden Mann, der viel besser zu ihr passte und sich sehr um Samuel bemühte, der es ihm überhaupt erst ermöglicht hatte, nach Österreich zu ziehen, doch Samuel betonte stets, dass er ja nicht sein Vater war, und klammerte sich so noch mehr an Salvadors Abwesenheit, immer wieder bestand er auf der Ungerechtigkeit, die ihm mit dessen Ablehnung widerfahren war, hielt an seinen Wunden fest, als würde er auseinanderbrechen, wenn er seinen Groll aufgäbe. Aber ich bestand darauf, immer wieder fing ich damit an, vielleicht mehr eigener Neugier als ihrer Beziehung zuliebe, ruf ihn doch zumindest einmal kurz an, vielleicht hat er sich geändert, bestimmt hat er dich vermisst, bist du denn nicht selbst gespannt, was er dir zu sagen hat, fragte ich ihn, und am dritten Tag meines Drängens griff er schließlich zum Telefon und rief ihn tatsächlich an und schlug ein Abendessen im Restaurant vor, wo ich nervös viel zu viele verschiedene Gerichte bestellte und viel Zeit damit verbrachte, sie zu loben und zwischen uns aufzuteilen, die Zutaten zu erraten, denn zwischen den beiden herrschte Stille, für die ich allein verantwortlich war, Salvador blieb ernst und machte den Mund beim Essen viel zu weit auf, wie mir schien, allein Samuel machte ein paar Anläufe, ihm etwas über sein Leben zu erzählen, doch Salvador rang sich höchstens einmal ein Nicken ab, also stimmte ich in Samuels Erzählungen mit ein, ja, dein Vertrag mit der Universität wird bestimmt verlängert, sagte ich, als er von seinem Job erzählte, und ja, unsere Wohnung liegt direkt an der Donau, Sie sollten uns einmal besuchen kommen, rutschte mir unbekümmert heraus, nur da hob er einmal seine Augen zu mir, und ich weiß nicht, ob Staunen oder Verachtung darin lag, und so blieben wir für den Rest des Abends beim Thema Essen und verabschiedeten uns so schnell wie möglich. Die ganze Heimfahrt lang spürte ich Samuels Vorwurf zwischen uns