: Lydia Davis
: Kanns nicht und wills nicht Stories
: Droschl, M
: 9783854209423
: 1
: CHF 17.10
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 304
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Ihre Erzählungen sind manchmal buchstäbliche Einzeiler; oder es sind lange geduldige Beobachtungen von Kühen im Laufe eines Winters vom Küchenfenster eines Landhauses aus. Ihre Stories können aber auch Träume sein, Beschwerdebriefe (an Tiefkühlerbsenproduzenten oder Autoren von Buchhändler-Werbebroschüren) oder Geschichten, die aus den Briefen Flauberts kondensiert wurden. Lydia Davis schreibt in allen Fällen mit großer Präzision, mit Witz und Intelligenz und einem geschärften Blick für die Unerfreulichkeiten des täglichen Lebens. Da sie nichts als gegeben hinnimmt, überschreitet sie auch ständig die Grenzen der literarischen Konventionen, der Genres und Gepflogenheiten - und das macht ihr Werk zu einer Fundgrube für überraschende Entdeckungen. Sie scheut weder das intellektuelle Vergnügen noch die Nähe der Intimität. Ob es sich um die ironische Aufzählung von Lesevorlieben handelt oder um die ungemein intimen Erinnerungen einer Frau an ihre verstorbene ältere Schwester, um die trocken notierten Schwierigkeiten mit renitenten Dienstmädchen oder die Essgewohnheiten von Großstadtneurotikern: Lydia Davis zu lesen erweitert nicht nur den Horizont, es weist uns auch auf unerwartete Freuden in unser aller rätselhaftem Alltag hin.

Die beiden Davis und der Teppich

Sie hießen beide Davis, aber sie waren nicht miteinander verheiratet und sie waren nicht blutsverwandt. Sie waren allerdings Nachbarn. Sie waren beide unentschlossene Menschen oder, richtiger, sie konnten in bestimmten Dingen sehr entschlussfreudig sein – in wichtigen Dingen oder in Dingen, die mit ihrer Arbeit zu tun hatten –, aber in Kleinigkeiten konnten sie sehr unentschlossen sein und ihre Meinung vom einen Tag zum nächsten ändern, immer von neuem, wobei sie an einem Tag von einer Sache vollständig überzeugt waren, um sich am nächsten ebenso überzeugt gegen sie zu entscheiden.

Das wussten sie voneinander nicht, bis sie sich dazu entschloss, ihren Teppich zum Verkauf anzubieten.

Es war ein bunter, rot, weiß und schwarz gemusterter Wollteppich, mit knalligem Rautendessin und ein paar schwarzen Streifen. Sie hatte ihn in der näheren Umgebung der Stadt, in der sie früher gelebt hatte, in einem kleinen indianischen Laden gekauft, fand nun aber heraus, dass es kein indianischer Teppich war. Er lag im Zimmer ihres abwesenden Sohnes auf dem Fußboden, und sie war seiner müde geworden, weil er etwas schmutzig und an den Ecken eingerollt war, und sie beschloss, ihn bei einer Gruppenauktion zum Fundraising für einen guten Zweck zu verkaufen. Als man ihn aber bei der Auktion sehr bewunderte – mehr als sie erwartet hatte –, und als der Ausrufungspreis von einem Sachverständigen von zehn auf fünfzig Dollar angehoben wurde, überlegte sie es sich anders und hoffte, er würde keinen Käufer finden. Die Zeit schritt voran, aber sie ging mit dem Preis für den Teppich – anders als andere um sie herum – nicht herunter, und obwohl man ihn weiterhin bewunderte, kaufte ihn keiner.

Der andere Davis kam früh am Morgen zur Auktion und war sofort von dem Teppich eingenommen. Er zögerte allerdings, weil das Muster so knallig und die Farben so grellrot, -weiß und -schwarz waren, weshalb er dachte, er würde sich in seinem Haus vielleicht nicht gut machen, obwohl sein Haus schlicht und modern möbliert war. Er bekundete unüberhörbar seine Bewunderung für den Teppich, sagte aber zu ihr, er sei nicht sicher, ob er in sein Haus passe, und verließ die Auktion, ohne ihn zu kaufen. Während aber im Verlauf des Tages keiner den Teppich kaufen wollte und sie den Preis nicht senkte, dachte er über den Teppich nach und kam später wieder, um den Teppich ein weiteres Mal anzuschauen und zu sehen, ob er noch da war, und zu entscheiden, ob er ihn kaufen würde oder nicht. Die Auktion war allerdings zu Ende, und alles war entweder verkauft oder als Sachspende verpackt oder eingepackt und nach Hause zurückgebracht worden, und die große Wiese vor der Terrasse des Pfarrhauses, auf der die Auktion stattgefunden hatte, lag wieder blitzblank und glatt in der spätnachmittäglichen Sonne da.

Der andere Davis war überrascht und enttäuscht, und als er der einen Davis am nächsten oder übernächsten Tag im Postamt über den Weg lief, sagte er, er habe seine Meinung bezüglich des Teppichs geändert, und fragte, ob er verkauft worden sei, und als sie verneinte, fragte er sie, ob er ihn probeweise in seinem Haus auflegen dürfe, um zu sehen, ob er sich gut machen würde.

Die eine Davis war sofort unangenehm berührt, weil sie sich inzwischen entschlossen hatte, den Teppich doch lieber zu behalten, ihn reinigen zu lassen und da und dort im Haus au