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Die Studenten schienen nicht recht bei der Sache zu sein in diesem Wintersemester, jedenfalls hatte sich im Copyshop auch an diesem Nachmittag kaum jemand blicken lassen, so dass ich gegen vier mit dem Gedanken gespielt hatte, wegen Krankheit zu schließen, aber vielleicht wäre dann ein verärgerter Kunde auf die Idee gekommen, die Firmenleitung anzurufen, und einen Halbtagsjob, der eine Krankenversicherung und ein kleines Gehalt garantierte und in dem man überdies Zeit hatte zu tun, was man tun wollte, setzte man nicht leichtfertig aufs Spiel. Also blieb ich an der Kassa sitzen und versuchte, an einigen der Sketches weiterzuarbeiten, die ich in den letzten Wochen angefangen hatte, aber ich kam nicht recht in Form. Rita hatte mir am Abend davor stundenlang Vorwürfe gemacht, dass ich mich verzettelte und zu wenig verdiente und dass ich meine Hoffnung, die Sketches eines Tages an eine Fernsehanstalt zu verkaufen, besser heute als morgen aufgeben sollte. Nicht dass ich ihre Anfälle von Streitlust nicht kannte, aber ich war gewohnt, dass sie zyklisch auftraten, in Abständen von zwei bis drei Wochen, neuerdings aber war sie fast täglich schlecht gelaunt, und unsere Streite endeten immer seltener im Bett. Es hing wohl damit zusammen, dass sie zuviel arbeitete. Sie hatte die Administratorenstelle an ihrer Schule übernommen, die Verwaltungsarbeit fraß sie auf, und außer mir war keiner da, an dem sie sich abreagieren konnte.
Aber Sie dürfen nicht denken, dass, was an diesem Tag begann, eine Folge von Eheproblemen war. Wir hatten keine Eheprobleme. Krisen, wie wir gerade eine durchmachten, waren kein Grund zu zweifeln an der stabilen Mischform aus Vernunft- und Liebesehe, die wir uns aufgebaut hatten. Wir kannten uns seit unserer Studienzeit, wir schliefen seit über fünfzehn Jahren miteinander, also war es uns schließlich logisch erschienen zu heiraten. Ich liebte Rita. Sie war die einzige, die immer Verständnis dafür gehabt hatte, dass ich trotz des abgeschlossenen Studiums nicht Lehrer geworden war, sondern mich lieber mit dem Halbtagsjob und Nachhilfestunden über Wasser hielt. Sie wusste, dass ich nicht zum Lehrer taugte, dass es mir nie gelungen wäre, das richtige Maß an Terror zu finden, den man auf die Schüler ausüben musste, um nicht von ihnen terrorisiert zu werden. Das einzige, worüber wir gänzlich verschiedener Ansicht waren, waren meine Sketches. Sie konnte sie nicht leiden und behauptete, niemand außer mir würde über sie lachen können. Aber früher hatte sie mit ihrer Meinung hinterm Berg gehalten, außer wenn ich sie ausdrücklich darum gebeten hatte. Dass sie unaufgefordert an ihnen herumnörgelte, war neu.
Ich legte also die Arbeit zur Seite und sah wieder meinem einzigen Kunden zu, einem schmächtigen jungen Mann, der Kleidung nach aus noblem Elternhaus, der damit beschäftigt war, ein umfangreiches Buch zu kopieren. Seit mehr als einer Stunde arbeitete er bereits, ich konnte es nicht mehr sehen, das ewige Deckel auf, Buch umdrehen, umblättern, Buch wieder umdrehen, Deckel zu, Licht, und da capo, und es bereitete mir daher eine gewisse Genugtuung zu wissen, dass er seine Arbeit nicht zu Ende bringen würde. Es war viertel vor sechs, ihm fehlte noch gut ein Drittel, und ich hatte nicht vor, Überstunden zu machen. Ich erledigte die Abrechnung, was keine große Sache war an einem Tag wie diesem, machte mehrmals die Kassenlade auf und zu, um seine Aufmerksamkeit zu erregen und ihn darauf hinzuweisen, dass es Zeit war Schluss zu machen, und zerriss schließlich, als all das nichts fruchtete, lautstark eins nach dem anderen die Blätter mit den misslungenen Schreibarbeiten dieses Nachmittags.
Das war die letzte Handlung in meinem alten Leben, von dem ich heute weiß, dass es kein Leben war, und in das ich doch, wenn das möglich wäre, ohne zu murren zurückk