: Yorck Kronenberg
: Ex voto Roman
: Droschl, M
: 9783854208976
: 1
: CHF 13.50
:
: Erzählende Literatur
: German
: 188
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Gefährlich und geheimnisvoll ist die Welt und in diesen flirrenden Ungewissheiten gewährt nur die Schrift einen Halt.Der deutsche Arzt Robert Sieburg wird verschleppt, vielleicht irgendwo im Mittleren Osten, vielleicht irgendwo in Zentralasien. Der Sprache nicht mächtig, der Sitten unkundig und nicht wissend, was ihn erwartet, bewegt er sich mit den Entführern, dem fremden Stamm, Mitgliedern eines unbekannten Ordens, durch die Berge und Hochtäler des Landes. Kontinuierlich soll er seine Erlebnisse und Gedanken schriftlich festhalten, er erfährt: die Aufzeichnungen gelten den Entführern als 'Verbindung zu Gott', durch sie 'komme die Wahrheit'. Nur selten hat der Gefangene während der Reise die Möglichkeit, mit seiner Frau zu telefonieren. Seine Ansprachen, von einer Kamera festgehalten, werden, so erfährt er von ihr, im deutschen Fernsehen übertragen. Ex Voto entführt den Leser in eine archaische, mythische, apokalyptische Landschaft - und Kronenbergs Kunst, Geheimnis, Bedrohung, aber auch die Magie der Fremde und der Einsamkeit zu evozieren, ist groß! Schnittstelle zwischen Robert und der neuen Welt ist Harry, sein Übersetzer/Dolmetscher, mit dem er ein merkwürdiges Bündnis eingeht. Währenddessen verschwimmen die Grenzen zwischen Wahrheit und Märchen, Wirklichkeit und Bild, Gegenwart und Vergangenheit: Je vertrauter dem Gefangenen das neue Leben wird, umso fremder wird er dem Leser; das Misstrauen, das er gegen sich hegt, zieht weitere Kreise.Eindrucksvoll entfaltet sich so eine Erzählung, in der der Gefangene, anfangs noch ohnmächtiges>Werkzeug<, die Machtverhältnisse umkehrt. Es geht um Kulte und Initiation, um Gewalt und Tod, Glaube und Unglaube, Freiheit und den Verlust des Selbst. Mit Ex voto ist Yorck Kronenberg ein außergewöhnlicher, spannender Roman um politische Mythen von heute gelungen.

I (Ankunft)

Sie gaben ihm Papier und Bleistift. Er solle aber nicht über die vergangenen Tage schreiben, zischte der Übersetzer ihm zu. Er selbst werde die Aufzeichnungen stichprobenartig überprüfen. – »Darf ich das erwähnen?« fragte der Gefangene. Der Übersetzer zuckte mit den Schultern.

Wir haben ein kleines Dorf erreicht, das auf einer Anhöhe liegt: Zusammengedrängte Steinhäuser, durch deren Holztüren der Wind zieht, Fußwege und dürre Wiesen, auf denen Schafe und Ziegen weiden. Es war Nachmittag, die Sonne stand tief, es wurde schon frostig. Im Dunkel der Fensterhöhlen zeichneten sich Gesichter ab: Man beobachtete uns. Ein alter Mann mit Stoppelbart trat auf die Veranda seines Hauses und hob die Hand. Unser Anführer ging auf ihn zu, stieg die knarrenden Stufen hinauf. Der Mann stellte sich vor die Haustür, als wolle er sie verteidigen. Die beiden steckten die Köpfe zusammen und flüsterten. Am Ende des Wortwechsels stampfte der Anführer mit dem Fuß auf, was eher herrisch als verärgert wirkte. – »Was hat das zu bedeuten?« fragte ich den Übersetzer. – »Sie haben sich geeinigt«, lautete die Antwort.

Wir durchquerten die Siedlung und errichteten unsere Zelte. Ich war sehr müde, und als der Übersetzer mir zunickte, packte ich meine Decken aus und legte mich auf den Boden. Im hinteren Eck hatten sich einige der älteren Männer zusammengesetzt und sprachen. Der Übersetzer brachte von draußen einen dampfenden Kessel mit Tee und ein paar Becher. Er schenkte seinen Kameraden ein. Dann setzte er sich auf einen kleinen Hocker neben mich. »Nennen Sie mich Harry«, sagte er. »Das ist ein hübscher Name und Sie können ihn aussprechen.« – Ich nickte. Im Halbdunkel konnte ich sein Gesicht nur schemenhaft erkennen.

»Sie sind sehr wichtig für uns«, sagte der Übersetzer, »Sie sind vielleicht der wichtigste Mann in unserem Trupp.« – »Wieso?« fragte ich erstaunt. – »Die Vorsehung hat Sie zu uns geschickt. Jedes Wort, das Sie schreiben, werde ich in unsere Sprache übertragen und der Priester wird es deuten. Sie kennen uns noch nicht.« – »Wenn ich Sie aber hasse?« – Der Mann lachte leise. »Sie sind ein Werkzeug. Sie können dagegen ankämpfen, wenn Sie das wollen, und vielleicht werden Sie uns nie verstehen. Beschreiben Sie Ihr Leben und Ihre Gedanken. Wir vertrauen Ihnen. Durch Sie kommt die Wahrheit.« Er legte mir zwei Finger auf die Lippen. »Fragen Sie nicht weiter. Es ist alles, wie es sein muss. Sind Sie durstig?«

Ich richtete mich auf meinem Lager auf und nahm den Becher entgegen. Meine Hände zitterten, ich fror. Der Tee roch aromatisch und etwas scharf, auf der Oberfläche schwammen Pflanzenteile. »Glauben Sie nicht, dass man uns finden wird?« fragte ich leise und beugte den Kopf in seine Richtung; dabei hätte mich doch ohnehin keiner der übrigen verstehen können. Einen Moment lang fürchtete ich, er würde wieder wütend werden. »Nein«, sagte er dann aber nur, und wieder war sein leises Kichern zu hören.

Vielleicht wollen sie Geld erpressen, ich weiß es nicht. Womöglich haben sie ihre Forderungen schon gestellt. Ob meine Familie Nachricht erhalten hat? Ob sie überhaupt ahnen, was mir geschehen ist? »Was ist mit meinen Begleitern?« fragte ich. – »Sie haben sich einem andern Trupp angeschlossen.« – »Sind sie am Leben?« – »Ich glaube es. Sie haben die Probe nicht bestanden. Sie sind nach Süden gezogen.«

Der Tee tat mir gut. War es der Dampf oder die plötzliche Erkenntnis, dass ich sprechen konnte, die Tränen in mir aufsteigen ließ? Ich rollte mich in meine Decken und schloss die Augen.

Später auf meinem Lager kam mir eine Situation aus meiner Jugend in den Sinn: Es ist Nacht, ich steige aus dem Zug und stapfe über einen hoch verschneiten, menschenleeren Bahnsteig zum gegenüberliegenden Gleis. Dort ist der Anschlusszug schon zum Stehen gekommen. Eiskalter Wind schlägt mir ins Gesicht. Ich weiß nicht mehr, woher ich damals kam, noch, wohin ich fuhr. Und doch fühl