: Eleonore Frey
: Muster aus Hans Ein Bericht
: Droschl, M
: 9783854208655
: 1
: CHF 12.60
:
: Erzählende Literatur
: German
: 120
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
'Hans ist anders als die anderen. Das sind die anderen auch. Es ist sein Anderssein, das anders ist.' So steht es am Beginn von Eleonore Freys Muster aus Hans. Mit denselben Worten wäre auch das ganze Buch treffend charakterisiert. Jeder Satz, der diesen Eingangssätzen folgt, hält inhaltlich und stilistisch, was die ersten drei versprechen.Hans ist eine jener Gestalten, die auf Biegen und Brechen nicht in die geschäftige Welt der gewöhnlichen Menschen passen wollen. Massig, bärtig, stumm steht Hans immer im Weg, er ist einer jener von der Gesellschaft Ausgeschlossenen, die viele fürchten und mehr noch beschimpfen. Ihrem Namen und Alter von dreiunddreißig Jahren entsprechend ist die Figur durchaus als Exempel zu verstehen. Gleichzeitig bleibt Hans ein Einzelfall. Sein Denken, das ein Denken in kleinen Schritten ist, macht sein Anderssein einzigartig. Freys Sprache passt sich diesem Rhythmus an und kommt damit viel weiter, als alle komplexe Theorie den Leser je bringen könnte. In kleinste Portionen unterteilt, überraschen die tiefsten Einsichten durch verblüffende Einfachheit.Muster aus Hans. Ein Bericht. Schon im Titel klingt der Tonfall des Buches an, der das wunderbare Paradoxon schafft, gänzlich nüchtern und gleichzeitig poetisch verfremdend zu sein. Wie der Titel changiert dieses Buch zwischen Wirklichkeit und Märchen - denn gerade das ist es am Ende, wenn der wilde Mann zum König wird, doch. '... kann ich nicht manchmal mit der Geige sagen, was ich in Worten nie gewusst habe?', fragt sich Hans' Freund, und es sind diese Stellen, an denen uns beim Lesen plötzlich bewusst wird, was hier passiert: Eleonore Frey schreibt Sätze, die uns sagen, was wir in Worten bis jetzt nicht gewusst haben.

I. Der wilde Mann


Ausgesperrt


Eine Tür, so breit wie Hans lang ist. Dahinter Musik, Stimmen, Gelächter. Licht fällt durch die Ritzen, durch die Fenster in der Backsteinwand. Die ist schwarz gestrichen. Wie auch die Tür, an die Hans anklopft, mit Fäusten schlägt; gegen die er anrennt mit seinem geballten Gewicht. Nach Kräften stemmt er sich dagegen, stemmt er sich mit beiden Füßen gegen den Boden. Rutscht aus. Fängt sich auf. Wechselt das Standbein. Noch einmal. Die Tür ächzt. Hält stand. Hans lässt ab. Fluchend. Die Worte hat er selber erfunden; solche, mit denen sich ohne zu fluchen lautstark fluchen lässt. Denn anders, weiß er, gehört es sich nicht. Es öffnet sich oben ein Fenster. Ein Mädchen schaut heraus. Bereits sind es zwei, drei. Sie lachen. Lea! ruft er in den Lärm hinein. Sie ist nicht hier, ruft es heraus. Hans droht mit der Faust. Fang! ruft eine, die sich von hinten an die Front gedrängt hat, und wirft ihm eine Büchse Bier hinab. Das ist Lea, seine Schwester. Als sie klein war, war sie stolz auf Hans, weil er unter allen Männern, die sie kannte, der größte war. Seit ihr die Nachbarskinder beigebracht haben, dass ihr Bruder ein Abnormaler sei, sagt sie: weiß nicht, wenn jemand wissen will, mit wem er sie gestern mitten auf der Straße schweigen oder streiten gesehen hat. Oder sie sagt, die war nicht ich. Hinter ihr steht ihr Freund Herbert, der sie als sein Eigentum um die Taille fasst. Die Büchse fällt auf den Boden. Platzt. Danke, sagt Hans. Gibt dem, was die Büchse war, einen Tritt. Das Ding fliegt in den Rinnstein. Das Fenster geht zu. Der Lärm bricht ab.

Hans geht weg. Nicht weit. Sobald er außer Sicht ist, setzt er sich auf eine Bank. Stellt sich tot. Das ist ein Ausweg. Denn solange er sich nicht rührt, bleibt den Vögeln das Zwitschern im Hals stecken und ihm, Hans, der Zorn. Der sich schließlich doch Bahn bricht durch die enge Kehle; hörbar, aber wortlos sich auflehnt gegen den Gang der Dinge, der Hans zuwider läuft, wo immer er sich hinwendet, er kann tun, was er will. Was haben Sie gesagt? fragt einer, der vorüber geht. Steht still. Hans blickt auf, erhebt sich, tritt vor den andern hin, nicht zu nah, und sagt: Ich habe mit mir selber geredet. Haben Sie sich verstanden? fragt der andere. Ja, sagt Hans. Ich habe gesagt, es hilft ja doch nichts, wenn ich etwas sage. Ich will nichts sagen, habe ich gesagt, sondern lieber bei mir selber bleiben. Und dann nach Hause gehen. Wissen Sie den Weg? fragt der Passant. Es gibt keinen Weg, sagt Hans. Ich habe kein Zuhause. Wo wollen Sie denn übernachten? fragt der Passant und weiß nicht recht, ob er gut tut, wenn er sich kümmert um was ihn nichts angeht. Weiß nicht, sagt Hans. Oder ich gehe in meine Wohnung, sagt er. Tritt von einem Fuß auf den andern. Fängt, nachdem er sich erinnert hat, wie das geht, an zu gehen. Also doch, sagt der Passant. Nein, sagt Hans, indem er sich noch einmal umdreht. Die Wohnung ist kein Zuhause, sondern ein Müllhaufen. Es ist dort kein Ort, wo man den Fuß hinsetzen kann, ohne dass man auf etwas tritt, das im Weg ist: Schuhe, eine zerbrochene Tasse. Kein Mensch wartet dort auf mich. Kein Tier.

Der Passant geht weiter. Was will der mit mir? fragt Hans. Laut. Da ist aber der andere bereits in der Menge verschwunden, in der einer wie der andere ist, einer mit dem andern im Takt geht. Für Hans, der eine andere Musik im Kopf hat, gilt die der andern nicht. Er geht nach seinem eigenen Gesetz. Manchmal eckt er an einen der Pfosten an, die da und dort aus dem Asphalt wachsen. Wenn das, wogegen er aneckt, ein Mensch ist, bekommt er oft einen gezielten Stoß oder einen bösen Blick. Wie es nun zu regnen beginnt, öffnen sich rund um ihn herum Regenschirme, oder es werden Kapuzen über den Kopf geklappt; Maßnahmen, die dem Spiel mit den Blicken ein Ende machen. Die Unbehüteten gehen mit gesenktem Kopf schneller als zuvor. Einige wenige stellen sich unter, wo sich eine Gelegenheit bietet: da ein Vordach, dort, bei der Bushaltestelle, e