Das Modell
Weil bekannt war, dass die satirisch-literarische Zeitschrift, für die wir arbeiteten, schon Schriftstellerkarrieren zerstört hatte, die vorher, bevor wir uns der jeweiligen Autoren an-, oder besser uns die jeweiligen Autoren vorgenommen hatten, für absolut unzerstörbar gehalten worden waren, ließ sich auch die öffentlichkeitsscheueste der heimischen Schriftstellerinnen, eine seit Jahren mit der Abfassung einer Romantetralogie mit dem Titel »Welt Welt« befasste ehemalige Hilfsarbeiterin aus Liezen, nicht auf das Wagnis ein, uns ein Interview zu verweigern. Bis dahin hatte sie jeden Kontakt zu den Medien und, soweit möglich, zur Außenwelt überhaupt gemieden, mit dem Argument, ein Roman, wie sie ihn schreibe, fordere von seinem Autor, in ihm auch zu leben und alle Kraft und Zeit ausschließlich an die Arbeit an Handlung und Figuren und an die tägliche Neuerschaffung der Sprache zu verwenden.
Schon in jungen Jahren war diese Autorin, wie wir bei Recherchen in ihrer früheren Heimat in Erfahrung gebracht hatten, überaus fleißig gewesen, sie hatte nicht nur, trotz drückender Überstundenbelastung, im zweiten Bildungsweg die Matura nachgeholt, sondern darüber hinaus auch immer wieder Zeit zu künstlerischer Betätigung gefunden. Im Liezener Werkschor war sie Altistin gewesen, sie hatte Bauernteller bemalt, Krippenfiguren geschnitzt und unzählige heitere Gedichte und Kurzgeschichten verfasst, die sie zu bestimmten Anlässen, bei Heimatabenden oder Firmenjubiläen, selbst vorzutragen pflegte. Mit einer Sammlung solcher Prosahumoresken, die unter dem Titel »Die Zwerge von Liezen« in einem katholischen Kleinverlag erschienen war, war ihr auch, völlig überraschend, der literarische Durchbruch gelungen. Ein als eigenwillig bekannter, aber höchst einflussreicher Literaturkritiker war, während eines Urlaubs in Bad Aussee, auf das schmale Bändchen gestoßen und hatte es wenig später in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« ausführlich besprochen und besonders seiner Sprache wegen gelobt. Aus einer Akribie des Hörens, hatte er geschrieben, entstehe unter strenger Missachtung sämtlicher Regeln der Grammatik ein zutiefst persönliches Deutsch, und hinzugefügt, von dieser Autorin sei noch viel zu erwarten, diese Autorin habe möglicherweise sogar das Zeug zu einem Großstadtroman der achtziger Jahre, nach dem dieser Kritiker in der gesamten zeitgenössischen Literatur schon seit Jahren vergeblich Ausschau hielt.
Die Autorin empfing uns grußlos. Über ihre plötzliche Berühmtheit, begann sie, gleich als wir eingetreten waren, sei sie vor allem deshalb so glücklich gewesen, weil es ihr dadurch möglich geworden sei, bei der VÖEST zu kündigen, überhaupt Liezen den Rücken zu kehren und sich in Wien, »in dieser einzigen österreichischen Weltliteraturstadt«, niederzulassen. Sie sei, sagte sie, ihrer Natur nach immer Schriftstellerin, genauer Romanschriftstellerin gewesen, um das zu erkennen, habe sie aber erst das geistabtötende Ennstal verlassen und in die Großstadt ziehen müssen. Tatsächlich habe sich sofort, kaum dass der Zug aus dem Liezener Bahnhof hinausgefahren gewesen sei, der Plan zu »Welt Welt« in ihrem Kopf zu formen begonnen, noch vor dem Umsteigen in Leoben sei das Gedankengebäude errichtet gewesen, und am Südbahnhof, im Gewimmel der Reisenden, habe sie ihr ganzes großes Wien- und Weltpanorama schon fertig vo