1. Ähnlich schnell, wie ein Mensch geht
Wenn man plötzlich nach seiner ersten Liebe googelt, ist das eine Reaktion auf die Klopfgeräusche, die man vor dem Einschlafen und, noch kräftiger, beim morgendlichen Blick in den Spiegel, beim Anblick der tiefen, senkrechten Falte zwischen den Augenbrauen, vernommen hat. Vergeblich hat man das Klopfen zu orten versucht, hat es immerfort abwechselnd außen und innen vermutet – auf dem Dachboden / unter der Schädeldecke –, aber niemals zu fassen bekommen.
Immer häufiger taucht es auf, immer unerklärlicher, so auch an diesem späten Freitagabend im Januar. Die Kinder waren, wie meistens am Ende der Kindergartenwoche, erschöpft und überreizt; den ganzen frühen Abend haben sie gemeinsam gestritten und abwechselnd geheult, und später, weil sie ins Bett gehen sollten, wie Verrückte geschrien. Endlich schlafen sie, es ist einen Augenblick völlig still, selbst der Hund liegt reglos auf seiner Decke unter meinem Schreibtisch, ich starre auf sein schwarzes Fell, bis ich sehen kann, dass der Brustkorb sich hebt und senkt; ich atme auf, und das Klopfen wird laut. Kurze Hammerschläge erst, dann abwechselnd auch längere. Ich male Striche und Punkte in mein Notizbuch. Es ist nicht so, dass ich viel vom Morsen verstehe, aber ich beuge mich solange über die Tabelle, bis annähernd etwas Sinnvolles herauskommt. Annähernd.RAUCH.ZEIT.KIND. Naja. (Die Alternativen wärenLXCH.TDIA.CRNE oderETINAKSI.MESA.NDKI. Ich kenne keine Sprache, in der das auch nur ansatzweise Sinn ergäbe, also entscheide ich mich für Rauch, Zeit, Kind.) Stille. Mein Mann, nehme ich an, ist in seinem Zimmer damit beschäftigt, die Emails der ganzen Woche aufzuarbeiten, wie jeden Freitagabend, wenn er keinen Dienst hat, um kurz vor MitternachtWochenende zu rufen. Wir nehmen uns schon länger vor, wieder einmal etwas gemeinsam zu machen.Etwas. Mal hat er keine Zeit, mal ich. Rauchzeitkind! flitzt es mir durch den Kopf. Ich schlage mein Notizbuch zu, schließe die Word-Datei und öffne ein neues Fenster. Ins Suchfeld gebe ich Petrus’ Namen ein, den Namen meiner ersten Liebe.
Ich bin darauf vorbereitet, gar nichts zu finden und unbefriedigt abzubrechen. Auch mit Hinweisen auf eine Frau und Kinder rechne ich. Warum sollte nicht auch er inzwischen Familie haben? Sogar auf Fotos bin ich gefasst. Nicht aber darauf. Darauf nicht. Angekündigt aber hatte Petrus es schon in der ersten Nacht. Vom Fliegen hatte er gesprochen, zu dem der Mensch nicht fähig, und wie unendlich betrübt er darüber sei. Aufs Fallen war er zu sprechen gekommen, und von da ganz plötzlich aufs Gehen; und er hatte, weil ich nachfragte: Gehen?, ergänzt: Einen Schritt nur, einen einzigen Schritt ins Leere, und gut ist. Er hatte die Arme ausgebreitet, als ob er fliegen wollte, hatte mich angesehen und gelächelt. Mein Mann kommt herein, er hat weder geklopft noch meinen Namen gerufen, das kommt selten vor, nur im Streit, wenn er richtig wütend, richtig empört oder richtig erregt ist. Bist du beschäftigt, fragt er. Nein, antworte ich und verschlucke: Ich habe gerade von Petrus’ Tod erfahren.
Du bist außer Atem, sagt er.
Ja, ich – wovon nur, ich sitze ja nur