: Vladimir Nabokov
: Dieter E. Zimmer
: Das Bastardzeichen
: Rowohlt Verlag Gmbh
: 9783644001206
: Nabokov: Gesammelte Werke
: 1
: CHF 10.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 352
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Vladimir Nabokov beschwört in seinem Roman «Das Bastardzeichen» eine albtraumhafte Welt. Eine blutige Revolution hat die «Kröte» an die Macht gebracht, wie der Volksmund den Diktator Paduk nennt, und mit ihm die «Partei des Durchschnittsmenschen», ein ebenso banales wie brutales Gelichter. Mit aller Präzision seines Stils zeigt Nabokov die totalitäre Welt als das, was sie ist: eine «bestialische Farce», ein Gemisch aus Lächerlichkeit und Grauen.

Vladimir Nabokov wird am 22. April 1899 in St. Petersburg geboren. Nach der Oktoberrevolution flieht die Familie 1919 nach Westeuropa. 1919-1922 in Cambridge Studium der russischen und französischen Literatur. 1922-1937 in Berlin, erste Veröffentlichungen, meist unter dem Pseudonym W. Sirin. 1937-1940 nach der Flucht aus Nazideutschland in Südfrankreich und in Paris, seit 1940 in den USA. 1961-1977 wohnt Nabokov im Palace Hotel in Montreux. Er stirbt am 2. Juli 1977.

Kapitel 2


Krug blieb in der Tür stehen und blickte auf ihr Gesicht hinunter, das zu ihm aufsah. Die Bewegung (Pulsieren, Strahlen) seiner Züge (zerknitterte Falten) rührte daher, dass sie sprach, und er begriff, dass diese Bewegung bereits geraume Zeit angedauert hatte. Möglicherweise die ganze Zeit, die sie gebraucht hatten, die Treppe des Krankenhauses hinabzusteigen. Mit ihren verblichenen blauen Augen und der langen runzligen Oberlippe sah sie jemandem ähnlich, den er jahrelang gekannt hatte und an den er sich nicht erinnern konnte – sonderbar. Auf einer Nebenstrecke teilnahmslosen Erkennens ordnete er sie als die Oberschwester ein. Ihre Stimme kam in Gang, als hätte eine Nadel ihre Rille gefunden. Die Rille auf der Platte seines Geistes. Seines Geistes, der zu kreisen begonnen hatte, als er in der Tür stand und auf ihr angehobenes Gesicht hinabblickte. Die Bewegung seiner Züge war jetzt hörbar.

Sie sprach das Wort, das so viel wie ‹kämpfen› bedeutete, in der Mundart des Nordwestens aus:‹fachtung› statt‹fahtung›. Der Mensch (männlich?), dem sie ähnlich sah, blickte aus dem Nebel hervor und war verschwunden, ehe er ihn oder sie identifizieren konnte.

«Sie kämpfen immer noch», sagte sie. «… dunkel und gefährlich. Die Stadt ist dunkel, es ist gefährlich auf den Straßen. Sie sollten wirklich lieber hier übernachten … In einem Krankenbett» (gospitalischa kruwka – wieder dieser Marschlandakzent, und er fühlte sich wie eine schwere Krähe – kruw –, die flügelschlagend in den Sonnenuntergang hineinfliegt). «Bitte! Oder Sie könnten wenigstens auf Dr. Krug warten, der hat ein Auto.»

«Kein Verwandter von mir», sagte er. «Reiner Zufall.»

«Ich weiß», sagte sie, «aber trotzdem sollten Sie nicht Sie nicht Sie nicht …» (die Welt drehte sich weiter, obwohl sie ihren Sinn verausgabt hatte).

«Ich habe einen Pass», sagte er. Und er öffnete seine Brieftasche und machte sich daran, das fragliche Schriftstück mit zitternden Händen zu entfalten. Er hatte dicke (zeig mal) plumpe (da) Finger, die immer leise zitterten. Seine Wangen waren nachdenklich nach innen gesaugt und gaben ein kaum vernehmliches schmatzendes Geräusch von sich, wenn er etwas auseinanderfaltete. Krug – denn er war es – zeigte ihr das verschwommene Schriftstück. Er war ein mächtiger, müder, vornübergebeugter Mann.

«Aber wenn das nun nichts nützt», jammerte sie. «Eine verirrte Kugel könnte Sie treffen.»

(Man sieht, die gute Frau war der Meinung, dass immer noch Kugeln im Begriff waren, in der Nacht umher zufluchtung, meteorische Überreste der längst vergangenen Schießerei.)

«Ich interessiere mich nicht für Politik», sagte er. «Und ich brauche nur den Fluss zu überqueren. Ein Bekannter von mir kommt morgen früh und wird alles erledigen.»

Er klopfte ihr leicht auf den Ellbogen und machte sich auf den Weg.

 

So freudig, wie es ihm die Umstände ges