: Jules Barbey d`Aurevilly
: Gernot Krämer
: Die Gebannte
: Matthes& Seitz Berlin Verlag
: 9783957572998
: 1
: CHF 17.00
:
: Hauptwerk vor 1945
: German
: 312
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
In dem normannischen Örtchen Blanchelande entfaltet sich ein Drama von archaischer Wucht: Jeanne, die adelige Frau eines Großbauern, verfällt einem dämonischen Mönch, der sich als Soldat und versuchter Selbstmörder gleich zweifach an seinem Priesteramt vergangen hat. Haben die heidnischen Wanderhirten, die in der nahen Heide von Lessay ihr Unwesen treiben, sie verhext? Wird sie von dem Mönch benutzt oder ist dieser selbst nur Mittel zum Zweck in einem unheilvollen Spiel? Nachdem sie tot aufgefunden wird, rächt sich ihr Mann grausam an dem Mönch, der seither sein Unwesen in der Gegend treibt. ?Die Gebannte?, einer der wichtigsten Romane von Jules Barbey d'Aurevilly, ist ein stilistisch herausragender Versuch über unerfüllbares Begehren und die Kraft des Glaubens und Aberglaubens. Fast 30 Jahre vergriffen, erscheint dieser Roman nun in der Reihe ?Französische Bibliothek? in der neu durchgesehenen klassischen Übersetzung von Alastair mit Beiträgen von Maximilian Woloschin, Mario Praz und Jacques Petit sowie Illustrationen von Félix Buhot.

Jules Barbey d'Aurevilly (1808-1889), Romancier, Essayist und seinerzeit berühmter Dandy, stammte aus der Normandie, wo die Mehrzahl seiner Bücher spielt, lebte jedoch in Paris. Daß er sich ab Mitte der 1840er Jahre zum Katholizismus bekannte, hielt ihn nicht von unfrommen und gewagten Stoffen ab und bewahrte ihn auch nicht vor einer Anklage wegen Verletzung der öffentlichen Moral und guten Sitten. Alastair (d. i. Hans-Henning von Voigt, 1887-1969), Bohemien, Künstler, Schriftsteller, übersetzte u. a. Werke von Théophile Gautier, Émile Zola und Robert Louis Stevenson. Gernot Krämer, geboren 1968, lebt als Redakteur der Literaturzeitschrift SINN UND FORM in Berlin und hat neben Barbey d'Aurevilly u. a. Werke von William Blake, Marcel Schwob, Apollinaire und Joris-Karl Huysmans übersetzt bzw. ediert.

 

I

Die Heide von Lessay ist eine der ausgedehntesten jenes Teiles der Normandie, der die Halbinsel des Cotentin genannt wird. Ackerland, fruchtbare Täler, grüne Heidegründe, fischreiche Wässer finden sich dort; doch ist das Cotentin, diese fette und ertragreiche Scholle, wie die Bretagne, der Pauvresse-aux-Gênets benachbart, einem jener brachen und kahlen Gebiete, die der Wanderer meidet und wo nichts gedeiht außer spärlichem Gras und kargem, bald verdorrtem Heidekraut. Solch unbebaute Landstriche, des Wachstums bare Strecken, kahlköpfige Hügel stechen gemeiniglich von den sie umgebenden Ländereien auffallend ab. Sie sind inmitten der Fülle Oasen der Unfruchtbarkeit, so wie im Wüstensand sich grünende Oasen finden. Sie unterbrechen die lachenden, frischen und fruchtbaren Landschaften mit herben Bildern der Traurigkeit und Sorge. Sie lassen ihre Schatten dunkler werden … Zumeist ist der Horizont der Heidegründe wenig weit. Betritt der Wanderer sie, überfliegt sein Blick sie bis an ihre Grenzen. Allseits frieden die Hecken bebauter Felder sie ein. Findet man hier ausnahmsweise Heidegebiete, die sich weitflächig breiten, so ist schwer zu schildern, welchen Eindruck sie in dem Beschauer hervorrufen. Ihr tiefer und seltsamer Zauber fesselt Blick und Herz. Wer kennte nicht den Zauber der Heide? Nur Seelandschaften, Meer und Dünen sind vielleicht von gleich ausdrucksvoller Eigenart und vermögen noch stärker zu bewegen. Sie sind wie letzte Fetzen ursprünglicher und wilder Poesie auf der von des Menschen Hand und Werkzeug verwandelten und verwundeten Erde. Heilige Überreste, die schon morgen vom Atem modernen Industrialismus verweht sein können; denn unsere grob materialistische und nutzgierige Epoche müht sich, jegliche Unberührtheiten und Unbezähmtheiten auf dem Erdkreis wie in der Menschenseele zu tilgen. Immer gewinnlüstern, ist die Gesellschaft, greise Haushälterin, die von der Jugend einzig die Gelüste bewahrt und sich mit ihren Einsichten brüstet, ebenso unfähig, das Göttlich-Unbewusste des Geistes, die Poesie der Seele zu begreifen, stets gewillt, sie gegen unselige immer unvollständige Kenntnisse einzutauschen, wie sie unfähig ist, die unter scheinbarer Nutzlosigkeit der Dinge verborgene und sichtbare Poesie der Schau anzuerkennen. Wenn diese furchtbare Regsamkeit des modernen Denkens anhält, so wird es in wenigen Jahren kein armes Stücklein Heide mehr geben, auf dem die Phantasie träumend ruhen könnte, wie der Reiher gedankenvoll auf einem Bein steht an abendlicher Tränke. Unter der Herrschaft des schwergewichtigen Genius leiblichen Behagens, die man für Zivilisation und Fortschritt ausgibt, werden weder Ruinen noch Bettler, weder Einöden noch Aberglauben bestehen, wie sie Gegenstand dieser Geschichte sind, wenn unsere weise Zeit uns überhaupt den Mund nicht verbietet.

Eben diese zweifältige Poesie unberührter Scholle und Unaufgeklärtheit ihrer Bewohner war es, die man vor kurzen Jahren noch in der wilden und unberührten Heide von Lessay finden konnte. Jene, die sie damals kannten, können es bezeugen. Zwischen La Haye-du-Puits und Coutances gelegen, eignete dieser normannischen Wüste eine großartige Verlassenheit und trostlose Traurigkeit, die sich unvergesslich einprägten, wo nicht Baum noch Haus, Hecke und irgend Zeichen menschlichen Lebens zu finden waren, außer Spuren des Wanderers oder der Herden vom gleichen Morgen im Staub bei trockenem Wetter, oder im aufgeweichten Lehm der Straße bei Regen. Die Heide erstreckte sich, wie es hieß, sieben Meilen weit. Um geradenwegs hindurchzukommen, brauchte ein gutberittener Mann gewiss mehr als zwei Stunden. Nach Meinung der ganzen Gegend war es ein gefahrvoller Weg. Wenn man von Saint-Sauveur-le-Vicomte, diesem Flecken, so hübsch wie ein schottisches Dorf, wo Du Guesclin seine Burg gegen die Engländer verteidigte, oder von der Küste der Halbinsel aus in Coutances zu tun hatte und der Zeitersparnis wegen den Heideweg einschlagen wollte – denn Landstraßen und öffentliche Postkutschen gab es auf jener Seite nicht – so tat man sich zu mehreren zusammen, um die bedenkliche Einöd