Kapitel 1
Laut Wetterbericht sollte es ein schöner Tag werden, nichts deutete darauf hin, dass eine Tragödie bevorstand. Nichts, außer dem unguten Gefühl, das Theo Dunker seit dem Aufstehen verfolgte.
Als Arzt war er es gewohnt, sich bei der Behandlung seiner Patienten nicht nur von den Fakten, sondern auch seiner Intuition leiten zu lassen. Sein Verstand sagte ihm, dass kein Grund zur Sorge bestand. Trotzdem hatte er das Gefühl, eine Katastrophe steuerte geradewegs auf ihn zu und kam mit jeder Sekunde näher.
Die idyllische Landschaft um ihn herum verbot eigentlich solche negativen Gedanken. Es war schon später Vormittag, aber noch hingen Reste der morgendlichen Nebelschwaden über der Wasseroberfläche. Vögel kreisten krächzend über der Schlei. Am Olpenitzer Noor wirkte der Meeresarm wie die Ostsee selbst – weit und friedlich. Für Theo kam dieser Ort seiner Vorstellung vom Paradies sehr nahe. Hinter ihm dichter Wald, vor ihm das Ufer mit hohem Schilf und einem kleinen Sandstrand. Die freie Fläche am Ufer war gerade groß genug für ihn, seinen Klapphocker und seine Tasche. Die Angel war nur ein Alibi. Heute hatte er sie nicht einmal zusammengesteckt und ausgeworfen. Er blickte auf das Wasser und hoffte auf den Frieden und die Ruhe, die er sonst hier fand. Vergeblich.
Ausgerechnet einen Mittwoch, den Tag, an dem seine Praxis geschlossen blieb, verschwendete er mit Grübeleien. Theo sah auf die Uhr. In etwas über einer Stunde wurde er im Dorfkrug zur Chorprobe erwartet. Danach standen ein gemeinsames Essen und der eine oder andere Korn auf dem Programm – oder vielleicht eher ein Ouzo.
Theo schmunzelte unwillkürlich bei dem Gedanken an das Treffen mit seinen Mitsängern. Als junge Kerle hatten sie sich zusammengefunden, er konnte kaum glauben, dass ihre Gruppe nun schon seit über vierzig Jahren bestand. Als der Besitzer des Dorfkrugs vor einem Jahr völlig unerwartet seinen Rückzug aus dem Geschäft ankündigte und gleichzeitig ein griechisches Ehepaar als seine Nachfolger präsentierte, hatten sie Böses befürchtet. Aber der Wirt war clever genug gewesen, nicht alles zu ändern. Aus derAlten Schleifähre warBeim Zeus geworden. Die Speisekarte war an die neuen Inhaber angepasst, die Gaststätte mit modernen Möbeln ausgestattet worden, aber der Stammtisch hatte immer noch seinen Platz in der Ecke. Und im Nebenraum, in dem mittlerweile mehr Beerdigungen als Hochzeiten gefeiert wurden, fand weiterhin regelmäßig ihre Chorprobe statt.
Alles war im Fluss, änderte sich und das war auch gut so, denn Theo hasste eingefahrene Wege. Auch er musste sein jetziges Leben überdenken. Sein eigener sechzigster Geburtstag lag schon drei Jahre zurück und so ungern er es zugab, er musste sich endlich um den Abschied aus dem Berufsleben kümmern. Aber welcher Arzt wäre schon bereit, nach Brodersby zu ziehen und seine Landarztpraxis fortzuführen? Reich wurde man damit nach den ganzen unsäglichen Gesundheitsreformen nicht und Idealismus allein ernährte keine Familie. Er selbst hatte wenigstens noch die fetten Jahre als Arzt miterlebt und ausreichend Geld gespart, um sich nicht einschränken zu müssen. Seine Frau plante schon die Reisen, die sie bald unternehmen würden, und ein Teil von ihm freute sich auf diese Zeit. Aber da war auch die Angst, wie ihm ein Leben ohne seine Arbeit gefiel, denn eins hatte sich in all den Jahren nicht geänd