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Sie konnte fühlen, dass es zu Ende ging.
Schon seit ein paar Tagen hatte sie es geahnt. Was als gewöhnliche Erkältung begonnen hatte, war zu einer Lungenentzündung geworden, und sie wusste, was das in ihrem Alter bedeuten konnte. Neue Namen konnte sie sich zwar nicht mehr so gut merken – zum Beispiel hatte der Name der neuen Ministerpräsidentin Erna Solberg anfangs einfach nicht in ihrem Gedächtnis hängen bleiben wollen –, aber ihr Verstand war noch immer scharf. Sie machte sich nichts vor. Es war so weit.
Seltsam. Als sie siebzig wurde, hatte Anja Sofia Turi erwartet, dass sich in ihrem Verhältnis zum Tod etwas ändern würde. Dass sein Schatten häufiger als früher ihren Alltag verdunkeln würde. Stattdessen lebte sie einfach weiter wie zuvor, kümmerte sich sommers wie winters um ihren Hof und ihre Schafe und erlebte die Jahrtausendwende ebenso wie das erste Jahrzehnt des einundzwanzigsten Jahrhunderts, ohne sich von dem Gedanken bedrücken zu lassen, sie könnte die Maisonne, die ihr die alten Knochen wärmte, möglicherweise nie wieder erleben, wenn jener Monat ein weiteres Mal vorüber war. Nicht einmal mit zweiundneunzig hatte sie sich darüber Gedanken gemacht, vielleicht eines Nachts für immer einzuschlafen.
Sie war ein pragmatischer Mensch, war es immer gewesen. Grübeleien gehörten nicht zu ihrem Alltag. Aber wenn sie hin und wieder darüber nachdachte, dann kam sie zu dem Schluss, dass es an ihren Erlebnissen im Krieg liegen musste. Während der deutschen Besatzung hatte sie sich nicht arrangiert, sie hatte sich am Widerstand beteiligt. Der Tod war ihr schon in jungen Jahren, mit noch nicht einmal zwanzig, ein ständiger Begleiter gewesen, der nicht als vage Möglichkeit in der Ferne des Alters auf sie wartete. Sie hatte sich damit abgefunden, dass es jederzeit unvermittelt aus sein konnte. Diese stoische Einstellung zum Sterben hatte sie in all den Jahrzehnten, die dem Ende des schrecklichen Kriegs folgten, nie verloren.
Sie lag in ihrem Bett und starrte an die Deckenbalken. Mit jedem rasselnden Atemzug hob und senkte sich ihre dünne Brust unter der Decke, die Magnus ihr bis ans Kinn hochgezogen hatte. Guter Magnus. Ohne ihn hätte sie in den letzten Jahren niemals alleine leben können. Er hatte ihr die Familie ersetzt. Wenn sie sich konzentrierte, was sie aber nur für ein paar Sekunden durchhalten konnte, weil es sie zu sehr anstrengte, konnte sie ihn in der unteren Etage hören, wie er die Toilettenspülung betätigte und vom Bad ins Wohnzimmer ging. Im Gegensatz zu ihren Augen hatte ihr Gehör auch im Alter nicht nachgelassen. Jetzt stellte er den Fernseher an. NRK, Spätnachrichten. Er meinte es immer viel zu gut mit ihr, dabei bekam sie kaum Luft, denn das violette Wollmonstrum lag wie Blei auf ihr. Wenigstens war es warm. Zuletzt war ihr ständig kalt gewesen, doch nicht, weil ihr Schlafzi