Unerwartetes Wiedersehen
Schwere, bleigraue Wolken hängen über dem zugefrorenen Fluss. Durch die kahlen Bäume am Ufer fegt ein eisiger Nordwind und treibt Schneeflocken vor sich her. Es steht uns wieder eine Nacht bevor, in der man vor Kälte kaum schlafen kann.
»Dieser Scheißwinter will nicht aufhören«, flucht Thorberg Arnason, seine Wangen rot vom Biss der scharfen Luft und sein blonder Bart weiß von Eiskristallen. »Langsam hab ich genug davon.«
Er reibt sich die Hände vor den noch spärlichen Flammen des Lagerfeuers, das wir in Gang kriegen konnten. Was bei dem Wind nicht so einfach ist. Wir mussten eine Stelle von Schnee befreien und uns dann alle Rücken an Rücken davorhocken, bis es Bogdan endlich gelang, etwas trockenes Moos und dürre Zweiglein in Brand zu setzen. Und schließlich dickere Zweige und kleine Aststücke nachzulegen, ohne die Flämmchen gleich wieder zu ersticken.
Bogdan hebt den Kopf. Seine Augen tränen vom Qualm des feuchten Holzes. »Ich dachte, du bist Norweger«, lästert er. »Da müsstest du doch ein bisschen Kälte gewohnt sein.«
»Ich schwör dir, bei uns an der Westküste ist es nicht so kalt«, knurrt Thorberg. »Um diese Jahreszeit blühen daheim schon die Wiesen.«
Was er sagt, ist richtig. In Norðvegr sind die Jahreszeiten milder, besonders an der Küste. Aber hier in Garðarike, so weit im nordöstlichen Inland, wo wir uns wochenlang herumgetrieben haben, kommt man im Sommer um vor Hitze, wenn einen die Mücken nicht vorher umbringen, und im Winter ist es so kalt, dass beim Pinkeln die Pisse gefriert, bevor sie auch nur den Boden berührt.
Eigentlich sollte es längst Frühling sein, aber die Götter oder der Teufel selbst haben uns noch einmal einen solchen Kälteeinbruch beschert, dass den Männern das Mark in den Knochen klirrt. Sie sind erschöpft und hungrig. Jagen ist wegen des Wetters nicht möglich, so dass wir seit zehn Tagen nur halbe Rationen zu uns nehmen konnten.
Vor acht oder neun Wochen sind wir mit etwa hundert Mann ausgezogen. Unterwegs mussten wir Verluste hinnehmen. Ein halbes Dutzend guter Kameraden haben ihr Leben verloren. Und dann sind da auch noch Verwundete, um die wir uns kümmern müssen. Einer mit einer eiternden Pfeilwunde am Hals, der andere im Oberschenkel. Beide fiebern und leiden unter Schüttelfrost, obwohl wir sie auf einem der Schlitten dick in Felle gepackt haben. Ein Dritter hat ein Auge verloren, aber der kann wenigstens laufen.
Der Fluss macht hier eine Schlaufe und bildet so etwas wie eine baumfreie Landzunge, wo es unter dem Schnee sogar etwas Wintergras für die Pferde gibt. Man muss es nur freischaufeln. Die meisten von uns sind dabei, Zeltplanen gegen das Schneetreiben zu errichten, die Pferde zu versorgen und wie Bogdan ein Feuer anzuzünden. Andere suchen im Unterholz nach Zweigen und Ästen, die noch einigermaßen trocken sind, oder teilen den mageren Proviant aus und versorgen die beiden Schwerverwundeten.
Thorbergs älterer Bruder Finn hat Männer für die Nachtwache eingeteilt. Jetzt hockt er sich zu uns und reibt sich die vom Frost roten Hände. »Ihr seht aus wie ausgekotzt, wenn ich das sagen darf.« Er lacht, als hätte er einen Scherz gemacht.
Unwillkürlich blicke ich in die Runde. Nein, wie siegreicheværingjar sehen wir nicht gerade aus. Thorkel hat eine blutverkrustete Braue über bleichen, eingefallenen Wangen. Von Thorbergs Nase löst sich die Haut ab, und seine Augen triefen. Snorri hat ein Geschwür an der Lippe, und Thjodolf, der Barde, trägt einen dreckigen Verband um die linke Hand gewickelt. Mürrische, niedergeschlagene Mienen machen sie alle.
»Sprich für dich selbst«, knurrt Ragnar. Er ist in einen Berg von Pelzen gehüllt, so dass er aussieht wie ein zotteliges Urviech. »Du bist so vom Fleisch gefallen, da wundert’s einen, dass du überhaupt noch in der Lage bist, deine klapprigen Knochen durch die Gegend zu schieben.«
»Mach dir keine Sorgen um meine Knochen«, erwidert Finn. »Die halten noch ’ne Weile.«
»Ihr müsst zugeben, das war der verdammt härteste Raubzug, den wir