II
Am nächsten Tag war die Station nicht mehr geschlossen. Der Selbstmörder hatte sich wahrscheinlich anders entschieden.
Er wollte sich nicht mehr um die Ecke bringen. Er wollte wieder leben. Sie hatten ihn wieder soweit... Aber das ist nur eine Vermutung. Ich lernte ihn später ja auch kennen. Den Selbstmordkandidaten. Und er war sehr nett. Ich kann nur deshalb so zynisch daherreden, weil ich selber auch daran denke. Sogar ziemlich oft. An Selbstmord. Aber dazu später. Die Station war von diesem Tag an auf jeden Fall offen, und ich konnte meinen Erkundungsgang durch die Innereien der Klinik in Angriff nehmen.
Die Klinik besteht aus einem alten honorablen Bau aus der Gründerzeit. Eine Bauepoche, die an der Fassade kastige, gedrungene Vehemenz mit der schmeichelnden Eleganz der geraden Linie verbindet. Innen mit hohen Decken, schlanken, großen Fenstern, deren Holzrahmen dickweiß lackiert sind, und langen, weiten Gängen und Fluren. Man meint fast, der Architekt hätte die Räume nur um der Flure willen gezeichnet.
Ich war jetzt im Parterre. Und fühlte mich gleich besser.
Dem Boden näher zu sein. Von den Gesichtern meiner Station entfernt zu sein. Das Mädchen hatte ich seitdem nicht mehr gesehen.
Die Klinik hatte einen großen Innenhof, der als Park für die Patienten angelegt worden war. Sie promenierten. Dort. Aber hinaus wollte ich noch nicht. Ich ging in Richtung eines dunklen Ganges, an dessen Ende ein gigantischer Automat stand. Süßigkeiten. Riegel. Schokoladentafeln. Alles, was es anderswo auch gab. Die gleichen Packungen.
Die gleichen Logos. Deren Form und Farbe man noch im Schlafe aufsagen konnte. Sie sahen genauso aus wie immer. Aber alles andere war anders.
Ich war stehen geblieben. Vor dem riesigen, stummen Automaten. Starrte hinein. Wollte mich entscheiden. Für etwas. Irgendetwas. Und ich musste mich beeilen. Denn die Stille, die von den Wänden dieses dunklen Ganges drang, wurde immer lauter. Also Münzen. Die klimpern. Dann wählen. Aber was?! Hopp hopp hopp! Daim. Ein Schokoladenriegel aus hartem Karamell. Kannte ich auch aus der Werbung. Ohne ihn je probiert zu haben. Ich zog ihn aus und biss hinein. Er war völlig flach. Aber trotzdem ergiebig. Eine zarte, dünne Schokoladenschicht umzog den festen Karamellkern, der zwischen meinen Zähnen in hundert kleine Splitter zerbarst, um sich dann mit der geschmolzenen Schokolade zu vereinen und einen unvergesslichen
Gesamtausdruck zu erschaffen. Unvergesslich?! Ich erschrak. Ich erinnerte mich an den Werbespot von Daim, der monatelang vor dessen Einführung auf dem deutschen Naschwarenmarkt im Fernsehen propagiert worden war:
Eine Faust, die den Riegel hält, knallt von hinten aggressiv ge