Gestern riefen Sie in den wichtigsten deutschen Tageszeitungen zur größten sinnlosen Tat der Geschichte auf, wie Sie es nannten.“
„Ja. Und seit heute Morgen habe ich schon Tausende von Bewerbungsschreiben und Mails erhalten.“
„Was planen Sie genau?!“
„Was der Titel der Aktion schon sagt: eine gigantische Sinnlosigkeit.“
„Mit Tausenden von Menschen?“
„Ja. Ich werde keine Bewerbung ablehnen. Der Größe des Projekts sind keine Grenzen gesetzt.“
„Sie haben dieses Projekt als die Krönung Ihrer bisherigen Sinnlosigkeitsserie bezeichnet.“
„Für mich, ja. Für mich ist es der Abschluss. Aber vielleicht wird das Ganze Schule machen, und Menschen werden weltweit groß angelegte Nonsens-Aktionen starten.“
„Manche zahlen sogar hohe Summen, um teilnehmen zu können, und Volkswagen und Vodafone haben Ihnen angeboten...“
Als Franz Kappa zu seiner Kaffeetasse griff, hatte ihn das Nietzsche-Gefühl erfasst: Die Luft ist dünn, die Gefahr nahe und der Geist wach und frisch, oder so ähnlich. Franz sah zu dem Fernseher über der Bar, da der Ton plötzlich lauter wurde. Werbeblock. Ein großer, schwarzer Wagen mit einem alternden Dustin Hoffmann am Steuer fährt über eine verschlungene, südländische Küstenstraße mit weitem Blick über das Meer. Der Wagen hält. Hoffmann springt heraus und rennt zur Fensterfront einer weiß gekalkten Kirche.
Die gleiche Szene wie vor dreißig Jahren. Als Hoffmann als jugendlicher Schauspieler in „Die Reifeprüfung“ seine Geliebte vom Traualtar entführt und mit ihr davonfährt – in irgendeinem alten Schrottwagen. Im Werbespot aber geht es nicht um die wundersame Entführung des Mädchens, das Hoffmann damals abgöttisch liebte, sondern alles dreht sich um das Auto. Um einen funkelnden, Serpentinen erklimmenden, höllenschwarzen, erbärmlichen Wagen, dachte Kappa. Und Dustin Hoffmann lacht am Ende des Spots auch noch so verteufelt, als sei ihm sehr wohl bewusst, dass er gerade seine Filmseele verkauft hatte.
Franz hatte bezahlt und lief die Ludwigstraße stadteinwärts. Er wollte nicht an O. denken. Ein Gedanke, der retten konnte: O. ist schlecht. Sie will vernichten. Am liebsten ihn und sonst auch alles. Was sie nicht alles Widerliches in sein Ohr geflüstert hatte, im Kaserneninnenraum. Dennoch: Jeder dieser abscheulichen Sätze machte ihn heiß, und Franz wiederholte die originale Wortfolge immer wieder, um sie nicht aus dem Gedächtnis zu verlieren. Würde er heute Abend allein im Bett liegen, würden ihre Worte ihn selig machen. Er passierte Café um Café, von denen er sich niemals in eines
begeben hätte, da seines doch perfekt sein musste. Und es gab genau zwei davon, in dieser großen, einfältigen Stadt, die ihn im Moment vornehmlich zornig stimmte. Nichts war weniger inspirierend als München, und kein Ort der Welt hatte diese Masse an Verkrampftheit. München, eine Stadt, die angehalten war, die geistige und architektonische Höhe der achtundfünfzig Meter der Türme der Frauenkirc