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Mit dem ersten Licht des neuen Tages war ein schmaler sandbrauner Streifen vor dem hochgezogenen Bug des Schiffes aufgetaucht. Obwohl seither mehr als zwei Stunden vergangen sein mussten, war er bisher kaum näher gekommen, denn das mächtige Segelschiffbewegte sich nicht darauf zu, sondern lief mit prall geblähten Segeln die Küste entlang. Es hielt dabei im Großen und Ganzen immer denselben Abstand von der braun-grün gefleckten Landmasse – einen Abstand, der klein genug war, die Besatzung nach Sicht manövrieren zu lassen. Trotzdem hätte Ulrich vielleicht den Sprung über Bord gewagt, und viele andere der gut hundert Gefangenen ebenfalls, die mit ihm in dem stinkenden Laderaum des Schiffes eingesperrt waren, hätten sie nur die Gelegenheit dazu gehabt.
Aber es gab diese Gelegenheit nicht. Zwischen den Gefangenen und dem sandbraunen Land im Süden lag nicht nur eine gute Meile salzigen Wassers, sondern da waren auch die fingerdicken Eisenstäbe des Gitters, das die beiden winzigen Sichtluken verschloss, und die rostige Kette, die beide Fußfesseln miteinander verband.
Wenn Ulrich sich sehr viel Mühe gab, konnte er damit aufstehen und sogar gehen, wenn auch nur mit kleinen und mühsamen Schritten, die seinem zerschundenen und erschöpften Körper die letzte Kraft kosteten – eine Flucht war also ganz ausgeschlossen.
Ulrich von Wolfenstein hob langsam die Schale an die Lippen, nahm ein paar Schlucke von dem warmen, schlecht schmeckenden Wasser, das er sich darin aufgespart hatte, und betrachtete das trübe Spiegelbild seines Gesichtes darin. Er war beinahe froh darüber, dass das Licht hier drinnen so schlecht war. So konnte er nicht viel mehr als einen zerfließenden Schatten erkennen. Die wenigen Male, da er sein eigenes Spiegelbild in den letzten Tagen gesehen hatte, war er zutiefst erschrocken darüber, wie rasch er sich in den kaum zwei Wochen verändert hatte.
Aus dem hochgewachsenen, kräftigen