: Marlon James
: Eine kurze Geschichte von sieben Morden Roman
: Heyne
: 9783641196455
: 1
: CHF 2.70
:
: Erzählende Literatur
: German
: 864
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Ausgezeichnet mit dem Man Booker Prize
Jamaika, 1976: Sieben bewaffnete Männer dringen in das Haus des Reggae-Musikers Bob Marley ein und eröffnen das Feuer. Marleys Manager wirft sich schützend über ihn und erleidet dabei lebensgefährliche Verletzungen. Marleys Frau Rita wird ebenfalls schwer verwundet, er selbst bleibt mit leichteren Verletzungen an Armen und Brust zurück. Wer waren die Täter? Was waren ihre Motive? Ausgehend von dem Attentat und den Spekulationen, die sich darum ranken, entwirft Marlon James ein vielseitiges Stimmungsbild Jamaikas in den 70er und 80er Jahren voll Gewalt, politischer Willkür, Drogen und Intrigen, ausgestaltet bis ins kleinste Detail.



Marlon James wurde 1970 als Sohn zweier Polizeibeamter in Kingston geboren. Mehr als zehn Jahre arbeitete er als Werbetexter und Grafikdesigner, u.a. für den Dancehall-Musiker Sean Paul und das 'T-Magazin' der 'New York Times'. Bei einem Literaturworkshop in Jamaika wurde eine Dozentin der Wilkes University Pennsylvania auf James aufmerksam und verschaffte ihm ein Masterstudium in Kreativem Schreiben sowie eine Assistentenstelle. Sein erster Roman 'Der Kult' erntete über siebzig Ablehnungen, ehe er einen Verlag fand und in der Folge als bestes Debüt für den 'Los Angeles Times Book Prize' und den 'Commonwealth Writers' Prize' nominiert wurde. Für sein 2009 erschienenes Nachfolgewerk 'The Book of Night Women' über eine Revolte jamaikanischer Sklavinnen während der Kolonialzeit erhielt James den 'Dayton Literary Peace Prize' und den 'Minnesota Book Award'. Sein dritter Roman 'Eine kurze Geschichte von sieben Morden', wurde ebenfalls vielfach ausgezeichnet. Als erster Jamaikaner erhielt James den 'Man Booker Prize'. Er lebt heute in Minneapolis, Minnesota.

Bam-Bam

Ich weiß, ich war vierzehn. Weiß ich noch. Ich weiß auch, dass zu viele Leute zu viel reden, vor allem der Amerikaner, der nie die Schnauze halten kann und immer lacht, wenn er von dir spricht, und es klingt komisch, wie er deinen Namen zusammen mit dem von Leuten sagt, von denen wir nie gehört haben, Allende Lumumba, hört sich an wie das Land, aus dem Kunta Kinte kommt. Der Amerikaner versteckt sich die meiste Zeit hinter seiner Sonnenbrille wie so ein Prediger aus Amerika, der herkommt, um zu den Schwarzen zu reden. Er und der Kubaner kommen manchmal zusammen, manchmal auch allein, und wenn einer redet, sagt der andere nichts. Der Kubaner spielt nicht mit Waffen rum, denn wenn man eine Waffe zieht, muss man sie auch benutzen, sagt er.

Und ich weiß, ich hab auf so einer Pritsche geschlafen, und ich weiß, meine Mutter war eine Hure, und mein Vater war der letzte gute Mann im Getto. Und ich weiß, dass wir dein großes Haus an der Hope Road schon seit Tagen beobachten, und einmal kommst du raus und redest mit uns, als wärst du Jesus und wir wären Judas, und du nickst, als wolltest du sagen, macht halt weiter, und tut, was ihr tun müsst. Aber ich weiß nicht mehr, ob ich das war, der dich gesehen hat, oder ob einer mir gesagt hat, dass er dich gesehen hat, und jetzt denke ich, ich hab dich auch gesehen, wie du auf die hintere Veranda gekommen bist und ein Stück Brotfrucht gegessen hast, und sie ist wie aus dem Nichts gekommen, als hätte sie um Mitternacht was Ernstes mit dir zu besprechen da draußen, und sie war schockiert, echt schockiert, weil du nichts angehabt hast, und dann hat sie nach deiner Frucht gegriffen, hat was abbeißen wollen, obwohl Rastas das nicht mögen, wenn Frauen so frech sind, und dann ging’s los, und man hat die Frau nicht mehr vom Mann unterscheiden können, und ich hab’s mir auch besorgt, weil’s mich schon bloß vom Gucken und Hören angemacht hat, und dann hast du einen Song drüber geschrieben. Der Junge aus Concrete Jungle kam vier Tage lang auf seinem schwuchtelgrünen Roller morgens um acht und nachmittags um vier vorbei wegen dieses braunen Briefumschlags, bis die neuen Sicherheitstypen ihn wieder weggeschickt haben. Über diese Geschäfte wussten wir auch Bescheid.

In den Eight Lanes und in Copenhagen City kann man bloß zugucken. Der mit der sanften Stimme im Radio sagt, Verbrechen und Gewalt übernehmen das Land, und wenn sich überhaupt jemals was ändert, dann irgendwann, und wir müssen eben abwarten und sehen, was passiert, aber hier in den Eight Lanes sehen und warten wir doch schon die ganze Zeit. Und ich sehe, wie das Abwasser einfach so die Straße runterfließt, und warte. Und ich sehe, wie meine Mutter zwei Männer zu sich nimmt, jeden für zwanzig Dollar, und noch einen, der fünfundzwanzig bezahlt, weil er drin bleiben will anstatt ihn rauszuziehen, und ich warte. Und ich sehe, wie mein Vater die Schnauze voll hat von ihr und sie wie einen Hund verprügelt. Und ich sehe, wie das Zinkdach braun vor Rost wird, und der Regen schließlich Löcher reinschlägt wie bei einem ausländischen Käse, und ich sehe zu, wie sieben Leute in einem Zimmer sitzen und eine ist sogar schwanger, und trotzdem wird gefickt, weil sie so arm sind, dass sie sich kein Schamgefühl leisten können, und ich warte.

Und das kleine Zimmer wird enger und enger, und immer mehr Schwesternbrüdercousins kommen vom Land in die Stadt, die immer größer und größer wird, und es ist kein Platz mehr da zum Tanzen, kein Hühnchen mehr für Curry, und wenn doch, dann ist es zu teuer, und ein kleines Mädchen wird erstochen, bloß weil jemand weiß, dass sie ihr Geld fürs Mittagessen immer dienstags kriegt, und Jungs wie ich werden immer älter und gehen kaum noch zur Schule und können nicht lesen, wollen Coca-Cola, aber Geld liegt keins auf der Straße, also wollen sie ins Studio, einen Song aufnehmen, einen Hit landen und mit dem Riddim aus dem Getto reiten, aber Copenhagen City und die Eight Lanes sind einfach zu groß, und jedes Mal, wenn du die Grenze erreichst, schiebt sie sich ein Stück weiter, läuft vor dir davon