: Murray Bail
: Die Reise
: Dörlemann eBook
: 9783038209423
: 1
: CHF 15.20
:
: Erzählende Literatur
: German
: 200
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Frank Delages Ziel ist Wien, die Stadt, die er mit seinem Flügel im Sturm zu erobern hofft. Delage ist Australier, und er hat mit einer revolutionären Erfindung dem Klang des Instrumentes zu einer ungekannten Klarheit, einer einzigartigen Brillanz verholfen. Und wo, wenn nicht in Wien, der Stadt von Mozart und Mahler, wird man das Ausmaß seiner Erfindung begreifen und zu würdigen wissen, so die Hoffnung des Manns von Down Under. Doch weit gefehlt - die Wiener Gesellschaft dreht sich um sich selbst, frönt dem dekadenten Wohlleben in Salons und Caféhäusern. Am Ende reist Frank auf dem Containerschiff Romance nach Hause, die junge Adlige Elisabeth von Schalla im Gepäck.

Murray Bail, geboren 1941 in Adelaide, »ist einer von Australiens besten Schriftstellern und Die Reise sein bislang bestes Buch« (New York Times). Murray Bail wurde mit dem Commonwealth Writers' Prize und dem Miles Franklin Literary Award ausgezeichnet. Er lebt in Sydney.

DieRomance lag relativ weit vorne in der Schlange der wartenden Schiffe vor Anker, Delage, Elisabeth und der Holländer standen an der Reling, das englische Ehepaar, auf Plastikstühlen, fächelte sich Luft zu, sie alle warteten, während die Schiffe in Reihe aus dem Kanal kamen, in entgegengesetzter Richtung, eine langsame und gleichförmige Prozession, Containerschiffe, fast so groß wie ihres, andere nur ein Viertel so groß, grün, grau, schwarz, Frachtschiffe aus Nordafrika und dem Mittleren Osten, voller Roststreifen, nach frischer Farbe lechzend. »Sie pflegen ihre Sachen nicht. Sie kratzen eine Existenz aus dem Boden, ihren Lebensunterhalt, und lassen die Dinge schleifen. Persönlich können sie durchaus sauber sein, sie waschen sich die Hände vor dem Essen, sie säubern sich die Zähne, wofür sie manchmal spezielle Zweigstückchen benutzen. Und dann werfen sie ihren Müll und Dreck aus dem Fenster, oder ins Meer. Ohne entsprechende Unterweisung haben sie keinerlei Kenntnis von Hygiene«, sagte der Holländer. »Und sie wundern sich, warum andere sie mit Füßen treten. Weil wir ein sauberes und ordentliches Volk sind«, fuhr der Holländer fort, »wir haben die Welt beherrscht.« Elisabeth kniff Delage in die Seite, sie wollte, dass er etwas sagte. Dann wandte sie sich ab, als würde sie nicht zuhören, wie ihre Mutter es zu tun pflegte, in seiner Kammer, als die Sonne auf ihre bloßen Schultern fiel, sah er die feinen blonden Härchen an ihrem Kinn, die normalerweise unsichtbar waren. Er hatte den Ellbogen auf die Reling gestützt, das Schiff fuhr unter seinen Füßen, was ihm das Gefühl gab, dass er nicht von der Stelle kam, während das Schiff und alles andere sich nach vorne bewegte. Am Vormittag liefen sie in den Kanal ein, sie folgten drei fetten Schiffen, sie fuhren so langsam, dass kein Fahrtwind zu spüren war. Der schnurgerade Kanal war von einer Unkompliziertheit, die das Fahren dicht hintereinander erlaubte. Sein Leben war ein Durcheinander gewesen, es fiel ihm schwer, seine Ansichten zu formulieren, geschweige denn, an ihnen festzuhalten, Information und Korrekturen kamen aus allen Richtungen. Nichts war einfach geradeaus, noch nicht einmal die Vorteile des Delage-Pianos, es genügte nicht, dass sie für ihn auf der Hand lagen. Jeder hatte etwas zu sagen, niemand ist entspannt, zu viele Dinge in der Welt scheinen falsch zu sein, jeden Tag ist irgendwas, die Enttäuschungen sind von ganz gewöhnlicher Art; die Menschen in seiner Nähe erweisen sich letztendlich als Enttäuschungen. Das ist zu erwarten, Menschen passen nie exakt zueinander, sie fallen einander auf wegen ihrer Verschiedenartigkeit, eine praktische Toleranz tritt in Kraft, eine soziale Notwendigkeit, jeder hat seine Meinungen, freilich ohne die genauen Einzelheiten zu kennen, alles wird missverstanden oder nicht ganz richtig verstanden, und da sie in der Regel ein bisschen falsch- oder ein bisschen richtigliegen, haben die meisten nicht den Nerv, sich offen zu erklären, anders der Holländer, der, eine Zeitlang, wo immer er hinsah, nur Probleme und Fehler ohne Lösungen wahrgenommen habe, wie er sagte. Die eine Seite des Kanals war grün respektive grün gefleckt, auf der anderen Seite nur Sand von der Farbe zerknitterter Zeltplane, in bestimmten Abständen eine Blech- oder Bretterhütte, in der ein junger Soldat hockte. V