: Philipp Blom
: Gefangen im Panoptikum Reisenotizen zwischen Aufklärung und Gegenwart
: Residenz Verlag
: 9783701745524
: 1
: CHF 11.70
:
: Sonstiges
: German
: 96
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Mit den Denkern der Aufklärung die Krise der Gegenwart verstehen Aus der Reihe 'Unruhe bewahren' in Kooperation mit der Akademie Graz und DIE PRESSE Wir leben mitten in einer Krise der Aufklärung: Rationalität, Universalismus, Menschenrechte und Demokratie werden zunehmend in Frage gestellt. Um diese Entwicklung zu verstehen, greift Blom auf die großen Debatten der Aufklärung zurück. Denker wie Hobbes, Voltaire, Rousseau, Diderot, Kant und Bentham werden befragt, um einen Blick in unsere Zukunft zu werfen. Ihre Perspektiven auf die Gesellschaft nehmen unsere Kontroversen vorweg, ihre Argumente beschreiben Utopien, die unsere heutige Realität prägen. Vom Neoliberalismus und dem Kollaps der Linken bis hin zu identitären Argumenten, von der Überwachungsgesellschaft bis zur Naivität der Wohlmeinenden und dem Zynismus der Privilegierten - alles wird hier bereits kritisch verhandelt.

geboren 1970 in Hamburg, Studium der Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford, Promotion in Geschichte. Blom lebte und arbeitete in London und Paris als Autor und Journalist, seit 2006 in Wien. International bekannt wurde er mit seinen mehrfach ausgezeichneten Sachbüchern über die Aufklärung, den Ersten Weltkrieg und die Zwischenkriegszeit. Daneben verfasste er mehrere Romane. Publikationen u.a.: 'Der taumelnde Kontinent. Europa 1900-1914' (2009), 'Böse Philosophen. Ein Salon in Paris und das vergessene Erbe der Aufklärung' (2011), 'Die zerrissenen Jahre. 1918-1938' (2014), 'Bei Sturm am Meer' (Roman, 2016).

I


Die Architektur der Träume


Manchmal muss man weit reisen, um sich selbst besser zu verstehen. Machen wir also eine Reise nach Kuba. Aber nicht nach Havanna, zu der Romantik alter Paläste, automobiler Fossilien und unter der Hand verkaufter Zigarren. Wir fahren weiter, zu einer kleinen Insel mit dem schönen Namen Isla de la Juventud. Dort, auf einem flachen Areal nahe dem Städtchen Nueva Gerona (Bevölkerung: 59 000), stehen fünf riesige, runde Gebäude in der Landschaft und verfallen langsam in der tropischen Hitze. Dies ist das Presidio Modelo, das Modellgefängnis, fertiggestellt 1928 unter dem zunächst durchaus fortschrittlichen Präsidenten und späteren brutalen Diktator General Gerardo Machado.

Der Zahn der Zeit und das Klima haben den Gebäuden des 1967 geschlossenen Gefängnisses arg zugesetzt. Die Außenmauern sind von Feuchtigkeit durchzogen, die Dächer brechen langsam ein, die Gebäude verrotten in der feucht-heißen Witterung der Insel, die noch vor zwei Jahrhunderten hauptsächlich von Sklaven bevölkert war.

Kuba – das war schon immer die Geschichte des Kampfes zwischen Freiheit und Sklaverei, zwischen Revolution und Reaktion. Auch Fidel Castro und mehrere seiner Mitstreiter waren Insassen des Presidio Modelo, bevor sie 1955 im Rahmen einer Amnestie freigelassen wurden. Vier Jahre später, nach einem erbitterten Guerillakrieg, regierte Castro den Inselstaat.

Das Presidio Modelo war kein Gefängnis wie jedes andere. Es ist eine Stein gewordene Utopie. Die Zellen sind entlang der Außenwände angeordnet, in einem gigantischen, fünf Stockwerke hohen Kreis. Zum Zentrum hin haben die Zellen Gitter statt Wände. Von dem nur über einen unterirdischen Gang erreichbaren Wachturm aus, der sich in der Mitte des Kreises wie ein Leuchtfeuer erhebt, lässt sich jede Zelle jederzeit einsehen. Jeder Gefangene soll wissen und fühlen, dass er ständig unter Beobachtung ist. Unfreiwillig in der Obhut des Staates, hat er keine Geheimnisse mehr.

Sowohl das Gefängnis als auch die Revolutionäre, die