Prolog
EIN SEE BEI HUELGOAT, SOMMER 1930
Die Hitze lastete wie eine Glocke auf dem See. Still lag seine Oberfläche, ohne Bewegung, ohne Wellen, nur hie und da blitzte es in seiner Mitte kurz auf, wenn ein Fisch nach oben stieß, um ein Insekt zu schnappen. Die späte Nachmittagssonne spiegelte den Wald so deutlich auf dem Wasser, dass man jeden Ast, jedes Blatt, jeden Halm erkennen konnte. Brocéliande, der Zauberwald, war schweigsam wie der See.
»Ich halt es nicht aus«, rief Sema und wischte sich stöhnend die schweißnasse Stirn. »Ich zerfließe gleich. Ich platze vor Hitze …«
Die Zwölfjährige begann, die Bluse aufzuknöpfen. Schuhe und Socken hatten beide Mädchen längst von sich geworfen.
»Wir dürfen doch nicht …«, warf Maelle zögernd ein. »Wir haben keine Badeanzüge mit …«
Sema stand schon in Unterhemd und Höschen. Sie war obenherum noch platt wie ein Kind, kein bisschen Busen wollte ihr wachsen. Maelle, die nur ein Jahr älter war, hatte schon hübsche, spitze Hügelchen. Ganz plötzlich waren sie da gewesen, ein paar Tage hatte es nur gedauert, Sema hatte gesagt, man hätte dabei zusehen können.
»Ach was – Badeanzüge«, meinte Sema verächtlich. »Nur ganz schnell hineinlaufen und abkühlen. Und dann wieder anziehen. Oder hast du etwa Angst, die Wasserfee holt dich?«
»Quatsch!«
»Na also. Und danach essen wir den Kuchen, ja?«
Der Pardon, die Prozession zu Ehren der heiligen Anna, hatte den ganzen Tag gedauert. Es war unfassbar heiß und staubig gewesen, die Frauen in ihren schwarzen Trachten mit den weißen Hauben waren in der Hitze fast verglüht. Zwei waren ohnmächtig geworden, die alte Anne Seznec und Joanna Prigent, die im vierten Monat schwanger war. Nachdem sich alle auf dem Dorfplatz vor der Kirche an den langen Tisch gesetzt und Kaffee getrunken hatten, waren die Jugendlichen einer nach dem anderen verschwunden, um eigene Wege zu gehen.
Maelle ließ den Blick am Seeufer entlangschweifen. Eichen und Buchen reckten ihre Äste bis zum Wasser hin. Drüben, wo die Ruinen des Klosters in den See hineinragten, gab es schlanke Weiden. Dahinter blühten roséfarbene und weiße Hortensien, die längst verblichene Nonnen im Klosterhof gepflanzt hatten. Die Klosterruine war ein verfluchter Ort. In der Nacht, so hieß es, gingen dort ruhelose Seelen um.
Sema hatte ihr blondes Wuschelhaar hochgebunden und lief jetzt nackt, wie Gott sie geschaffen hatte, in den See hinein. Es ging nicht ohne Gekreisch und Gespritze, denn obwohl das Ufer hier flach war, gab es Steine, über die man stolpern konnte.
»Komm doch endlich!«, rief sie der Freundin ungeduldig z