Prolog
An dem Tag, als Honor Grace Holland 35 wurde, tat sie das, was sie an ihrem Geburtstag immer tat.
Sie ging zur Krebsvorsorge.
Klar, Honor war sich durchaus bewusst, dass die Gynäkologie in der Hierarchie der Party-Aktivitäten ziemlich weit unten angesiedelt war. Es fiel ihr bloß leichter, den gefürchteten Termin zu vereinbaren, wenn sie ihn auf ein denkwürdiges Datum legen konnte. Ein rein praktischer Grund also, mehr nicht; und Honor war absolut praktisch veranlagt. Eigentlich hatten ihre Schwestern Faith und Prudence und ihre engste Freundin Dana Hoffman vor, sie zum Geburtstag auszuführen, doch wegen des Schneesturms am letzten Wochenende mussten sie absagen. Und die Familie würde sich dieses Wochenende zum Kuchenessen treffen; es war also keineswegs so, dass der PAP-Abstrich die einzige Würdigung ihres Wiegenfests darstellte.
Sie brachte sich auf dem Untersuchungsstuhl in Position, während der Arzt diskret wegschaute, und übte dieses tiefe Ein- und Ausatmen, das ihr geradezu beängstigend biegsamer Yogalehrer mit derartigem Elan vorgeführt hatte, dass sie und Dana kichern mussten wie zwei kleine Mädchen in der Kirche. Die Atmerei hatte damals nicht funktioniert und funktionierte auch jetzt nicht. Sie starrte auf den Jackson-Pollock-Druck an der Decke und versuchte, an etwas Erfreuliches zu denken. Sie müsste dringend die Website updaten. Und ein Etikett für den neuen Grauburgunder entwerfen, den das Weingut Blue Heron bald auf den Markt bringen würde. Und natürlich die Bestellungen des Monats checken.
Als ihr bewusst wurde, dass mit „positiv denken“ nicht ihre Arbeit gemeint war, versuchte sie, sich auf etwas zu konzentrieren, das nichts mit dem Job zu tun hatte. Zu Hause hatte sie ein paar Trüffelpralinen von Lindt. Das war gut.
„Na, wie geht’s, Honor?“, hörte sie Jeremy zwischen ihren Beinen fragen.
„Ich arbeite viel. Du kennst mich ja.“ Das tat er wirklich. Jeremy war sowohl ein alter Freund der Familie als auch der Exverlobte ihrer Schwester. Außerdem war er schwul, was aber keinen besänftigenden Einfluss auf das Abtasten ihrer Eierstöcke zu haben schien.
Er streifte seine Handschuhe ab und lächelte. „Fertig.“
Honor setzte sich hastig auf, obwohl Jeremy ja wirklich schrecklich nett und berühmt für seine zarten Hände war. Jetzt reichte der liebe Onkel Doktor ihr sogar eine vorgewärmte Decke – so fürsorglich war er. Beim Befühlen der Brüste vermied er jeglichen Augenkontakt, und das Spekulum lag bei ihm immer auf einem Heizkissen. Kein Wunder, dass die Hälfte aller Frauen in Manningsport in ihn verliebt war. Dass er selbst Männer liebte, tat der Verehrung keinen Abbruch.
„Wie geht es Patrick?“ Sie verschränkte die Arme.
„Super“, antwortete Jeremy. „Danke der Nachfrage. Apropos, hast du derzeit einen Freund, Honor?“
Die Frage ließ sie erröten, nicht nur, weil Jeremys berühmte Hände „da unten“ gewesen waren, sondern auch, weil … na ja. Sie war nun mal eher der verschlossene Typ. „Warum fragst du?“ Wollte er sie etwa verkuppeln? Sollte sie Ja sagen? Vielleicht sollte sie das tun. Brogan war nie …
„Ich muss nur ein paar Fragen über dein, äh, über gewisse private Aspekte deines Lebens stellen.“
Honor lächelte. Jeremy war zwar inzwischen ein angesehener Mediziner, aber gleichzeitig immer noch der süße Junge von damals, der auf dem College mit Faith gegangen war und einfach nicht vergessen konnte, dass Honor ein paar Jahre älter war als er. „Wenn es unter die ärztlich