1. Kapitel
Sherwood Forest, Sommer 1189
Der Wald von Sherwood wölbte sich wie eine gewaltige Kathedrale nach oben zum Himmel. Die Bäume ließen nur wenige Sonnenstrahlen durch ihre Blätter, die goldene Kringel in Unterholz, Gras und Farn zauberten. Trotzdem spürte Robin die Hitze des Augusttages fast wie einen körperlichen Schmerz unter seinem grünen Wams, als er dem Ruf des Jagdhorns folgend durch den Forest eilte.
Er hatte die Mittagszeit bei Marian und ihrem Vater verbracht, deren Rittergut direkt an den Sherwood grenzte, und nach einem recht üppigen Mahl noch etwas Ruhe in den Armen seiner vor Gott, wenn auch nicht vor der Kirche und dem Gesetz, angetrauten Frau genossen.
Dann schallte der dumpfe Ton aus Little Johns Jagdhorn durch die Stille, und für alle Waldmänner gab es in diesem Fall nur eins, sofort dem Ruf zu folgen.
Fast hätte Robin den Ritter übersehen, der wie eine Statue völlig unbeweglich auf seinem Pferd mitten auf dem Weg nach Nottingham stand, voll gerüstet in Kettenhemd, Brustpanzer, Helm und mit Schild, Schwert und Lanze bewaffnet. Hätte das gewaltige Schlachtross nicht warnend geschnaubt, wäre der in Gedanken noch bei Marian weilende Robin wahrscheinlich mit dieser riesigen, eisernen Gestalt zusammengestoßen.
Doch das Leben im Wald hatte über die Jahre alle seine Sinne geschärft. Blitzschnell legte Robin Hood einen Pfeil auf die Sehne seines Bogens und donnerte dem Ritter ein »Halt« entgegen, was irgendwie unpassend war, da dieser ja sowieso stand.
»Was wollt Ihr denn mit dem Stecken und dem Stäbchen ausrichten?«, fragte der Ritter eher amüsiert und etwas überrascht, wobei seine Stimme durch das Helmvisier dumpf und grummelnd klang.
»Ihr seid in unserem Wald und auf unserem Weg, und jeder, der hier durchkommt, zahlt uns ein Wegegeld«, kam prompt die Antwort, die den eisernen Mann etwas verblüffte.
»Ich war bis jetzt der Meinung, das ist der Wald des Königs, und des Königs Wege sind in England frei«, gab er zurück.
»Mag schon sein, dass das woanders so ist«, konterte Robin. »Aber erstens ist der König tot, und zweitens müssen wir das Unheil, das er mit seinen ewigen Kriegen angerichtet hat, ja irgendwie ausgleichen. Deshalb nehmen wir von denen, die es haben, und geben es denen, die es brauchen. Wenn Ihr hier durchwollt, kostet es Euch eine Silbermark – und wenn nicht, dann auch.«
Dem Ritter, den die Situation anfangs eher belustigt hatte, wurde es langsam zu bunt.
»Gib den Weg frei, Bürschchen, sonst nagle ich dich an den nächsten Baum«, knurrte er und legte die Lanze ein.
Plötzlich spürte er einen harten Schlag gegen seinen Schild. Als er heruntersah, steckte in dem dicken Eichenholz ein Pfeil. Und zu seiner größten Überraschung schaute dessen Spitze auf der Innenseite des Schildes nur wenig über seinem linken Arm heraus.
Er, der in unzähligen Gefechten unbesiegt geblieben war und als Meister der Kriegskunst galt, hatte noch nie eine Waffe mit einer derartigen Durchschlagskraft erlebt.
Als er aufblickte, schien sich an der Situation von eben nichts geändert zu haben. Der Mann im grünen Wams stand mit gespanntem Bogen scheinbar unbewegt vor ihm.
»Der nächste Pfeil geht in den Schildarm. Und wenn das nicht reicht, der dritte durch den Helm. Übrigens, ich habe es mir überlegt: zwei Silbermark sind wohl angemessener für so einen hohen Herrn«, hörte er die Gestalt vor sich sagen.
Das war ein stolzer Preis. Für drei Silbermark bekam man schon ein gutes Pferd.
Der Ritter war nicht gerade mit dem ausgeglichensten Temperament versehen. Wutschnaubend senkte er die Lanze, gab seinem Hengst die Sporen und jagte auf Robin Hood zu.
»Verdammt sollt Ihr sein für das, was ich jetzt tun muss!«, knurrte Robin und ließ den Pfeil von der Sehne, allerdings nur mit einem Bruchteil der Zugkraft, die er beim ersten Schuss aufgewendet hatte. Das Geschoss traf das heranstürmende Schlachtross genau zwischen Brustbein und Schulterblatt in den starken Halsmuskel. Wie von einem gewaltigen Hammer getroffen, knickte der Hengst abrupt in der Vorhand ein. Der Rit