So geht es nicht weiter
Nüchterne, farblose Worte, mit denen Menschen dieser Zeit das benennen, was früher sehr viel pathetischer Weltuntergang genannt wurde.
Vor einem Jahrtausend wurde schon einmal das Ende der christlichen Welt erwartet. Viele verkauften ihr letztes Eigentum und bereiteten sich auf das Jüngste Gericht vor, das sich durch eine steigende Flut von Gewalttaten anzukündigen schien.
Neuere Historiker, die sich über die Geschichte der Wende vom ersten zum zweiten Jahrtausend gebeugt haben, sind zu der Ansicht gekommen, daß schon in dieser dunklen Zeit Anfänge jener Erhellung zu finden sind, die sich in den folgenden Jahrhunderten nach und nach ausbreitete. Das klare Gedankengebäude des Thomas von Aquin, die Strukturen der gewaltigen, weißleuchtend gen Himmel strebenden Kathedralen, die Lehre des heiligen Franz von Assisi, die Geistigkeit der Humanisten, ja sogar der kritische Rationalismus der Aufklärung – all das wurde schon damals, im zehnten Jahrhundert, von einer kleinen Zahl inspirierter Mönche hinter den Mauern ihrer Klöster vorbereitet.
Der französische Geschichtsforscher George Duby beschreibt die Wendung, die sich, erst wenigen bemerkbar, anbahnte: «Die Menschheit liegt noch zu Füßen eines schrecklichen, magischen, rächenden Gottes, der sie beherrscht und erdrückt. Aber sie ist dabei, sich das Bild eines menschlichen Gottes zu schaffen, der ihr ähnlicher ist, und sie wird es bald wagen, ihm ins Gesicht zu schauen. Sie beginnt einen langen Weg der Befreiung …»
Nur wenige dachten damals an eine irdische Wandlung. Ihre einzige Hoffnung galt dem Reich Christi. Hienieden war das Leben beherrscht von täglicher Not und nie endender Furcht. Das karolingische Reich war zerfallen, Räuberbanden durchstreiften Europa, plünderten, marterten, brandschatzten. Im barbarischen Klima dieses Säkulums gediehen die kulturellen Anfänge der beiden vorhergehenden Jahrhunderte nicht weiter und gingen zugrunde. Nur wenige Menschen konnten lesen oder schreiben.
So blieb der Prozeß geistiger Erneuerung, der hinter den Mauern einiger Klöster begonnen hatte, den Zeitgenossen verborgen. Erst die Nachwelt erfuhr davon aus Berichten von Chronisten wie Raoul Glaber. Das war ein unsteter, scharfzüngiger Mönch, höchst unbeliebt bei hohen wie mittleren Kirchenherren. Seine vielen Feinde sagten ihm nach, er sei «geschwätzig, leichtgläubig und ungeschickt». Er aber empfand, so wird überliefert, diese Tadelsbezeigungen als Lob und wertete sie als indirekten Beweis dafür, daß seine kritischen Beobachtungen getroffen hatten. Er widmete sich schließlich ganz dem Notieren des Erlebten und schrieb im Kloster Cluny, das ihm Unterschlupf gewährte, seine fünfbändige Geschichte der Jahre 900 bis 1044 nieder.
Ähnlich wird ein Chronist an der Wende zum dritten Jahrtausend versuchen müssen, nicht nur die Erscheinungen des Verfalls und der Zerstörung, der Brutalität und der Unvernunft, der Unterdrückung und Verschwendung zu registrieren und zu kritisieren, sondern auch zu fragen haben: Gibt es heute wiederum Vorzeichen eines Wandels? Wo sind Ansätze einer Veränderung? Werden wir noch einmal davonkommen?
Der Schreiber dieser Zeilen bemüht sich seit Jahren darum, Signale, Tendenzen und Versuche ausfindig zu machen, die im Widerspruch zum Bestehenden auf eine andere und bessere Zukunft hindeuten.
Anfangs war das nur eine Nebenbeschäftigung, die ich durchaus unsystematisch betrieb: eine Zeitungsnachricht, ein Brief, eine mündliche Mitteilung erzählten von Möglichkeiten und Hoffnungen. Ich sammelte solche «guten Nachrichten» und gab während meiner Korrespondententätigkeit bei den Vereinten Nationen in New York als private Publikation einige Nummern eines «Good News Bulletin» heraus. Denn als Zeitungsmann fand ich es unerträglich, daß Presse und Funk in ihrer Suche nach Neuigkeiten zwar über Kriminalität und Katastrophen, Krisen und Krieg ausführlich berichteten, darob aber hoffnungsvollere, wenn auch weniger aufdringliche Entwicklungen vernachlässigten.
Das starke Echo dieses naiven Versuchs in der amerikanischen Öffentlichkeit – Leitartikel in den führenden Zeitungen und Nachrichtenmagazinen, Interviews in Radio und Fernsehen, Hunderte von Briefen aus allen Teilen des Landes – zeigte mir, wie groß die Sehnsucht war, einmal etwas anderes als die täglichen Klagen zu hören. Meine Freude über diesen scheinbaren Erfolg war kurz. Ich merkte sehr schnell, wie sehr dieses oberflächliche Interesse an «guten Nachrichten» der Nachfrage nach Beruhigungspillen ähnelte. Meine damaligen Leser und Korrespondenten schienen weder interessiert zu sein, eindringlich über Alternativen und ihre Durchsetzung nachzudenken, noch die Zeitübel tiefergreifend zu diagnostizieren. Sie mißverstanden meine Hinweise auf einige wenige Lichtblicke in einem überwiegend dunklen Bild als Bestätigung dafür, daß doch «alles ga