2. KAPITEL
Als Lorna am nächsten Morgen das Hotel verließ, kündigte der im Osten rötlich gefärbte Himmel den nahen Sonnenaufgang an.
Kaum hatte sie den großzügigen Vorhof des Ras Jusuf erreicht, entdeckte sie den Stallburschen. „Salam aleikum“, begrüßte sie ihn in dessen Landessprache, doch ihr Blick galt einzig dem Fuchswallach, dessen Zügel er hielt.
„Salam aleikum“, erwiderte Mustafa und beobachtete mit einiger Skepsis, wie die junge Frau, die in ihrer Reitkleidung fast knabenhaft wirkte, eine Wasserflasche und etwas Proviant in der Satteltasche verstaute.
Doch seine Bedenken hinsichtlich Lornas abenteuerlichem Vorhaben schienen verflogen, als sie sich ebenso gekonnt wie elegant in den Sattel schwang.
„Chef lässt derLella sagen, sie soll vorsichtig sein“, teilte er ihr in gebrochenem Französisch mit und überließ ihr die Zügel.
„Richte deinem Chef aus, dass ich vor Sonnenuntergang zurück bin“, erwiderte sie lächelnd, weil sie stillschweigend davon ausging, dass die Sorge des Stallbesitzers weniger ihr als vielmehr dem wertvollen Pferd galt.
Ohne eine Antwort abzuwarten, trieb sie den Fuchswallach an und ritt durch den großen Torbogen, der das Hotelgelände begrenzte. Im leichten Trab passierte sie die Palmen, die das ausgetrocknete Flussbett eines Wadis säumten, ehe sie das Pferd mit leichtem Schenkeldruck aufforderte zu galoppieren.
Als sie endlich die Wüste erreichte, machte sich ein grenzenloses Glücksgefühl in ihr breit. Die Sonne, die wie eine Scheibe allmählich am Horizont aufging, tauchte die unwirtliche Landschaft in betörende Farben, und das gleichmäßige Geräusch der Hufe auf dem steinigen Untergrund bestärkte Lorna in der Gewissheit, dass sie ihrem lang ersehnten Ziel näher kam.
Mit ihrem Vater hatte sie auch den letzten Halt verloren, der ihr geblieben war, und so erhoffte sie sich von ihrem Ausflug mehr als nur das Wissen darum, wie der Ort aussah, an dem er die vielleicht glücklichste Zeit seines Lebens verbracht hatte.
Vielmehr hatte sie die inständige und mitunter an Verzweiflung grenzende Hoffnung, an diesem fruchtbaren Fleckchen Erde inmitten der endlosen Einöde eine Antwort auf die Frage zu finden, wie sie ihr weiteres Leben gestalten sollte.
Denn nichts traf weniger auf sie zu als Rodneys Vorwurf, sie sei aus Eis. Das Gegenteil war richtig. Wie jede junge Frau kannte auch sie den Wunsch nach Zärtlichkeit und Geborgenheit, doch anders als die meisten ihrer Altersgenossinnen verabscheute sie jene beiläufigen und unverbindlichen Liebkosungen, die Rodney zu Recht als Flirt beschrieben hatte. Nicht minder verabscheute sie die Männer, die glaubten, mit einem flüchtigen Kuss, der zu nichts verpflichtete, ihr Herz erreichen zu können.
Noch hatte sie keinen Anlass, die Hoffnung aufzugeben, dass es auch andere Männer gab. Zu ihrem Leidwesen war sie jedoch bislang keinem begegnet, dessen Fantasie über plumpe Annäherungsversuche und leere Schmeicheleien hinausgegangen wäre. Doch ehe sie sich mit weniger zufriedengab, als ihr zustand, wollte sie lieber ihre Unabhängigkeit behalten, selbst wenn diese mitunter Züge von Einsamkeit trug.
Ähnlich ungeklärt wie ihre Zukunft in Hinsicht auf ihr Privatleben war auch die bezüglich ihres Berufslebens. Seit Längerem erwog sie, sich zur Krankenschwester ausbilden zu lassen. Nicht minder reizte sie der Gedanke, Medizin zu s