: Irmgard Litten
: Eine Mutter kämpft gegen Hitler
: ars vivendi
: 9783869137605
: 1
: CHF 10.70
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 245
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Der erschütternde Bericht einer Mutter, die fünf lange Jahre dafür kämpfte, ihren Sohn aus den Fängen der Nationalsozialisten zu befreien. Hans Litten, 1903 geboren, lebte als junger Anwalt in Berlin. Zu seinen Mandaten gehörten auch einige Verfahren, bei denen er Opfer des berüchtigten 'SA-Sturmes 33' vertrat. Ein Beweisantrag Littens führt dazu, dass Hitler 1931 in den Zeugenstand geladen wird. Durch Littens Fragen in die Enge getrieben, schwört Hitler Verfassungstreue und verstrickt sich unter Eid in Lügen. Hans Litten hat nach der Machtergreifung auf tragische Weise erfahren müssen, dass Hitler ihm diese Vernehmung nie verziehen hat. Er wurde von 1933 bis 1938 in verschiedenen Haftanstalten und KZs gefoltert und gedemütigt, bis er sich schließlich in Dachau das Leben nahm. Seine Mutter, Irmgard Litten, hat seit dem Tag der Verhaftung alles unternommen, um ihren Sohn zu befreien. Ihre Hartnäckigkeit führte sie bis in die Spitzen des NS-Regimes, sie organisierte Beistand für Hans und internationale Solidarität. Die Erfahrungen dieser Zeit hat Irmgard Litten in ihrem Buch Eine Mutter kämpft gegen Hitler (engl. Beyond Tears) zusammengefasst - es erschien bereits 1940 in USA, England, Mexiko, China und Frankreich. Eleanor Roosevelt schrieb nach der Lektüre des Buches: 'Man ist stolz darauf, ein Mensch zu sein, weil es solche Menschen gibt wie Hans Litten und seine Mutter.'

Irmgard Litten wurde 1879 geboren. Nach dem Tod ihres Sohnes Hans verließ sie Deutschland, über die Schweiz und Paris gelangte sie in die Emigration nach Großbritannien. Dort hielt sie Vorträge und Reden gegen das verbrecherische Nazi-Regime, schilderte ihre Erlebnisse und sprach über die Konzentrationslager. Ganz bald wurde sie vom Ministry of Information offiziell als Sprecherin übernommen: 'Ich sprach in Schulen, in Fabriken, bei Bergarbeitern, bei Soldaten, in Clubs und in großen öffentlichen Versammlungen. Ich sprach in England, Schottland, Wales und Nordirland. Ich brauchte all meine Energie. Sprach ich doch vor einem fremden Volk, in einer fremden Sprache, als Vertreter einer Nation, mit der man Krieg führte und zu der ich mich - trotz aller Ablehnung der nationalsozialistischen Weltanschauung - bekannte.' Irmgard Litten arbeitete auch als Sprecherin der British Broadcasting Corporation (BBC). Nach dem Krieg kümmerte sie sich vorrangig um deutsche Kriegsgefangene. 1950 kehrte sie nach Deutschland zurück und starb 1953 in Berlin.

 

Vorwort – Hans Litten

 

Aus dem Dämmer der Erinnerung taucht das Bild Hans Littens wieder vor mir auf und nimmt Gestalt an.

Ich sah ihn das erste Mal in einer Versammlung der Liga für Menschenrechte, in der ich über eine Misshandlung oder Vernachlässigung von Fürsorgezöglingen gesprochen hatte. In der Diskussion sprach aus dem Saal heraus auch ein junger Mensch, den ich für einen Schüler hielt. Dass ein Halbwüchsiger sich in einer öffentlichen Versammlung zum Wort meldete, zumal da es um das Schicksal Jugendlicher ging, wäre damals nicht unmöglich gewesen. Der Sprecher war von zarter Gestalt, er hatte ein glattes Gesicht, eine randlose Brille vor den runden hellen Augen. Er trug das Hemd am Hals offen und kurze Hosen, unter denen die Knie nackt waren. Seine Argumentation schien mir klug, aber auch altklug, mit einer etwas kindlichen Überlegenheit vorgebracht. Was er sagte, entsprach der radikalen These der Jugendbewegung: dass die Jugend ein Recht auf ihr eigenes Leben, auf Selbstbestimmung, habe und dass wir Erwachsene, auch wenn wir, wie hier, die Rechte Jugendlicher verteidigten, kein Recht auf Einmischung hätten.

Meine Antwort muss wohl etwas väterlich geklungen haben. Denn nach dem Schluss der Debatte sagte einer meiner Freunde lachend zu mir: »Wissen Sie, wer der ›Junge‹ war? … Der Assessor Litten.«

Assessor, das bedeutete: ein Jurist, der ein jahrelanges Studium und eine jahrelange Vorbereitungszeit einschließlich verschiedener Examina hinter sich hat, der jeden Tag Richter oder Anwalt werden kann, der, ist er auch noch so fleißig gewesen, die Mitte der Zwanziger erreicht haben muss und also kein Kind mehr ist.

Als ich Hans Litten das nächste Mal sah, trug er die schwarze Anwaltsrobe und verteidigte in einem politischen Prozess. Das Gesicht war auch jetzt kindlich; rein und klar blickten die lichtgrauen Augen durch die Brillengläser, und es war dem ersten Blick erkennbar, dass er, obwohl ein Erwachsener, bei weitem der jüngste unter den anwesenden Verwaltern der Justiz war. Wer aber auch nur kurze Zeit beobachtete, der sah, dass der junge Jurist von dem überlegenen Alter der Anderen nicht beeindruckt war. Er gab keines seiner Rechte, auch das kleinste nicht, auf. Seine Art, zu befragen, war ruhig und gemessen, dabei sehr eingehend, lieber wiederholte er denselben Sinn in anderen Worten, als dass er irgend eine Einzelheit im Dunklen ließ. Man kennt die Art kontinentaler Richter: sie sind stets darauf bedacht, den Fortgang des Prozesses zu fördern, zu Ende zu kommen; nur zu leicht geschieht es, dass sie die Anwälte zu hemmen, ihr Verhör abzukürzen versuchen. Das war schwierig mit diesem gründlichen Verteidiger, der offenbar unbegrenzte Zeit und unbegrenzte Geduld hatte und auch Geringfügiges wichtig nahm, wenn es im Interesse seines Mandanten zu liegen schien. Schwer war es auch, ihn vom Wort abzudrängen, weil er ein vorzüglicher Kenner des Prozessrechts war, und so hieß es oft für die anderen Beteiligten, sich in Geduld zu fassen.

Es gab damals in Moabit, in dem hässlichen roten Berliner Strafjustizhaus – beileibe kein »Palast«, wie in lateinischen Hauptstädten, – einen Typus Verteidiger, der Mängel seiner Sache oder auch seiner Person durch Erregtheit, auch durch Stimmaufwand, auszugleichen versuchte: dieser Typus war besonders unter den Anwälten vertreten, die zur äußersten Linken oder zur äußersten Rechten zählten. Von ihnen unterschied sich Litten deutlich, ja auffallend. Er war hier so radikal wie er in jener Versammlung bei der Vertretung der Jugendrechte gewesen war; aber sein Radikalismus zeigte sich nicht in den äußeren Mitteln. Er trat zutage in der Formulierung von Fragen und Beweisanträgen, die gelegentlich scheinbar Entferntes, ja den ganzen Staatsaufbau

umfassten, wo die Verhandlung nur um eine Straßenrauferei zu gehen schien; und er erwies sich in jener Gründlichkeit, die auch den scheinbar gleichgültigen Punkt ins Licht zog. Beides, wie wir sehen werden, hat dazu beigetragen. den Rechtsanwalt Litten ins Verderben und in den Tod zu führen.

Die Straßenraufereien, die damals den Strafgerichten von Moabit Beschäftigung gaben, hatten allerdings, das war unverkennbar, nicht wenig mit dem Staat und mit der Staatsform zu tun. Deutschland war in eine revolutionäre, präziser gesagt: in eine konterrevolutionäre Periode getreten. Gegen Ende des Jahres 1929 hatten starke Mächte im Hintergrund des politischen Theaters beschlossen, das Schicksal Deutschlands von Grund aus zu ändern. Sie meinten, man habe nun lange genug Demokratie und Erfüllungspolitik spielen lassen, ein neues Programm sei fällig. Dies Programm enthielt als Hauptpunkte: das Ende des Vertrags von Versailles, keine Reparationszahlungen me