Wie jeden Morgen hole ich mir im Café nebenan einen Cappuccino zum Mitnehmen mit extra heißer Milch und fahre dann einhändig mit dem Fahrrad zur Arbeit. Die verheulten Augen verstecke ich hinter einer Sonnenbrille, obwohl der Himmel inzwischen bewölkt ist. Wie Magnus würde ich am liebsten einfach abhauen oder sogar ganz vom Erdboden und von dieser Welt verschwinden, aber ich kann ja nicht. Ich muss arbeiten und fahre wie immer die Straße entlang, die den Berg runter ins Stadtzentrum führt. Über Nacht hat sie sich in einen Kirschblütenmeer verwandelt und sieht aus, als würden große rosa Zuckerwatteballen sie säumen. Der Wind fegt durch die Kronen und nimmt ein paar Blütenblätter mit, die wie Konfetti über meinen Kopf hinwegsegeln. Der Frühling macht mich fertig. Alles um mich herum fängt neu an, die Natur blüht und gedeiht und ich? Ich will nicht neu anfangen. Ich stelle mir die Aufgabe, während der restlichen Fahrt einen klaren Kopf zu bekommen, aber ich bin trotzdem voll neben der Spur. Als alle Autos anfahren, rollt mein Fahrrad über eine rote Ampel. Ich versuche zu bremsen, da liegt mein Kaffeebecher schon auf der Straße und ich beinahe auch. Die Milch fließt über den Asphalt. Besser ich schiebe, denke ich, auch wenn ich längst zu spät zur Arbeit und damit auch zu meiner eigenen Präsentation komme. Werde ich allein in dieser Stadt klarkommen?, überlege ich und schaue mich um. Der Verkehr ist ohrenbetäubend, nur ein paar Bäume stehen hier und da und jeder davon ist von Hundekacke umzingelt. Nie sieht man ältere Menschen auf der Straße, dafür sitzt vor jedem Supermarkt ein Bettler oder jemand, der die Straßenzeitung verkauft und einem ein schlechtes Gewissen macht, wenn man mit einer prall gefüllten Tüte rauskommt. Es hat lange gedauert, bis ich mich hier einigermaßen heimisch gefühlt habe und ich hätte mich nicht mit dieser Stadt angefreundet, wenn ich nicht angefangen hätte, mit dem Rad zu fahren und all die versteckten Parks und Uferstellen zu finden. Es ist ein schwarzes Damenrad mit drei Gängen und einem verbeulten Drahtkorb am Lenker, in dem Rotkohl-Fitzel hängen, weil irgendein Assi das Papier von einem Döner in meinen Korb geworfen hat, als ich es vor dem Büro stehen gelassen hatte. An diesem Abend bin ich ausnahmsweise mit dem Taxi nach Hause gefahren, weil ich zu kaputt war, um auch nur einmal in die Pedale zu treten. Früher bin ich mit der U-Bahn zur Arbeit gefahren, aber ich kann die Enge nicht mehr ertragen. Ich stelle mir immer vor, dass der Waggon, in dem ich sitze, entgleist, die Bahn auf die Seite kippt und ich mit all diesen Menschen, ihren Franzbrötchen und Kaffeebechern auf einem Haufen liege und dazwischen ersticke. Allein wegen dieser Vorstellung bleibt mir beim Betreten der Bahn die Luft weg. Außerdem gibt es immer Leute, die einen nerven oder die sogar zu richtigen Hassattacken anstacheln. Zum Beispiel dieser Typ, der jeden Morgen zur selben Zeit fuhr wie ich: Entweder hatte er eine Isotasse dabei, aus der er schlürfend Tee trank, oder er packte ein großes Glas Joghurt aus seiner Tasche, aß ganz genüsslich und kratzte zum Schluss mit einem langen Löffel den letzten Rest aus dem Glas. Dabei schien es ihn überhaupt nicht zu stören, dass die anderen Fahrgäste, also ich, von seinem Löffel-im-Glas-Geklimper Mordgelüste bekamen. Genauso geht es mir mit den Straßenmusikern, wenn sie morgens um acht mit dem Schlachtruf »Musica, Musica, Musica« die Bahn entern undHit The Road Jack fiedeln. Und immer wieder, an fast jeder Station, steigt ein Bettler ein. Mir ist das morgens zu viel, ich ertrage weder die Gute-Laune-Musik noch die Armut. Also fahre ich Rad. Manchmal sin