: Anja Koeseling, Bettina Schuler
: Anja Koeseling, Bettina Schuler
: Schlachtfeld Elternabend Der unzensierte Frontbericht von Lehrern und Eltern
: Eden Books - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
: 9783944296845
: 1
: CHF 7.10
:
: Familie
: German
: 320
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Gibt es eigentlich Bio-Essen in der Schulkantine? Wer betreut die nächste Klassenfahrt? Und wo kommen die ganzen verdammten Läuse her? Wenn Ihnen diese Fragen bekannt vorkommen, dann waren Sie wahrscheinlich schon mal auf einem Elternabend. In Schlachtfeld Elternabendhaben nun endlich Eltern und Lehrer aus ganz Deutschland ihre besten Elternabend-Geschichten zusammengetragen. Kurzweilig und unterhaltsam erzählen sie von überbesorgten Helikoptermüttern, überforderten Lehrern und ahnungslosen Vätern - eben dem ganz normalen Elternabend-Wahnsinn. »Wenn kleine Soldaten nicht mehr weiterwissen, dann werden große Generäle gerufen, um den Fortlauf des Krieges zu besprechen. Das nennt man dann Elternabend. Für Eltern und Lehrer ist dieses Buch ein Muss.« Kai Twilfer, Bestsellerautor von Schantall, tu ma die Omma winken!

Anja Koeseling war als Journalistin und Publizistin tätig, bevor sie 2008 die Literaturagentur Scriptzz mit Sitz in Berlin gründete. Heute schreibt sie Sachbücher.

RABENMUTTER


»Ist dir eigentlich schon aufgefallen, wie Paul den Füller hält?«, rief mir meine Schwägerin aus der Küche zu.

Ich war im Bad und wickelte meine Tochter. Jedenfalls versuchte ich das. Sie strampelte so wild, dass man den Eindruck bekam, sie hätte sechs Beine. Mindestens. Als ich endlich fertig war, wurde mir mit einem Schlag klar, wo der Ausdruck»schiefgewickelt« herkam.

»Wie bitte?«, keuchte ich atemlos, schnappte mir das sechsbeinige Strampeltier und ging in die Küche zurück.

»Na, den Füller.« Sie saß neben Paul am Küchentisch und zeigte auf die Hand meines Sohnes.»Er hält ihn total falsch.«

Paul warf mir einen flehenden Blick zu. Ich sah seine füllerhaltende Hand an und dann das Heft, in das er seine Hausaufgabe schrieb. Im ersten Moment fand ich eigentlich, dass das alles ganz gut aussah. Okay, ein Sternchen für Schönschrift bekäme er vielleicht nicht, aber leserlich sahen die drei Zeilen, die er geschrieben hatte, schon aus.

»Ich würde sowieso viel lieber mit Kugelschreiber schreiben«, maulte Paul.

Meine Schwägerin schüttelte energisch den Kopf.»In der Grundschule wird mit Füller geschrieben. Punkt. Das kündige ich immer gleich beim ersten Elternabend der ersten Klassen an. Eure Lehrer doch auch, oder?« Bei der Frage wandte sie ihren Blick von Paul zu mir.

Meine Schwägerin ist Grundschullehrerin. Zum Glück nicht an Pauls Schule. Ich hatte keine Ahnung, wie das dort mit dem Füller gehandhabt wurde. Der erste Elternabend war ja immerhin schon vier Jahre her.

»Bestimmt«, sagte ich vorsichtshalber.

Mein Sohn schlug sein Heft zu und wollte aufstehen, als meine Schwägerin ihn am Arm festhielt.

»Halt. Du hast einen Fehler gemacht. Wie schreibt man›Anorakkapuze?‹«

Paul klappte sein Heft wieder auf.»So wohl nicht«, murmelte er.

Entschlossen strich sie das Wort durch, drückte meinem Sohn den Füller in die Hand und bog ihm die Finger zurecht.

»Da gehören zwei K hin. Anorak endet mit einem K und Kapuze fängt mit einem an.«

Während Paul das Wort korrigierte, sah mich meine Schwägerin vorwurfsvoll an.»Machst du denn keine Hausaufgaben mit ihm?«

»Ähem«, stammelte ich,»eigentlich nicht. Nur wenn er mich darum bittet. Also, wenn er etwas nicht versteht, oder so«, fügte ich etwas lahm hinzu.

»Als Lehrerin rate ich meinen Eltern immer wieder, ihre Kinder bei den Hausaufgaben zu begleiten. Eine ordentliche Unterstützung…«

Glücklicherweise krabbelte meine Tochter genau in diesem Moment gegen das Tischbein und fing an zu heulen. Meine Schwägerin verstummte. Paul schmiss den Füller in sein Mäppchen und verzog sich mit erleichterter Miene in sein Zimmer.

Als meine Tochter mit dem Weinen aufgehört hatte, führte meine Schwägerin ihren belehrenden Vortrag augenblicklich fort:»Erst beim letzten Elternabend musste ich meine Eltern zum wiederholten Male daran erinnern, dass…«

Diesmal rettete mich das Telefon.

»Hallo«, tönte eine hohe Stimme aus dem Apparat,»hier spricht Hannah. Ist Paul da? Ich wollte fragen, was wir heute aufhaben. Ich bin nämlich krank«, schniefte sie zur Erklärung dazu.

»Paul«, rief ich die Treppe hoch,»Telefon!«

»Ich bin auf Klo«, brüllte er die Treppe herunter.

»Paul kann gerade nicht«, sagte ich in den Hörer,»ich gucke mal, ob ich sein Hausaufgabenheft finde.«

Pauls Ranzen stand noch am Tisch. Darin fand ich alles Mögliche: Kaugummipapier, ein halbes Käsebrötchen, zerbröckelte Radiergummiteile, ein Stück Lineal, Hefte, ein Pfund Anspitzspäne und ein Buch. Aber kein Hausaufgabenheft.

»Es tut mir leid, Hannah, ich…«

Paul stürmte in die Küche und riss mir den Hörer aus der Hand.

»Hi«, sagte er und lauschte. Im nächsten Moment schoss es wie eine Pistole aus seinem Mund:»Mathe, Seite 24, Aufgaben 1a und b. C nur, wenn du Lust hast. Deutsch, Seite 54, Nummer 2. Und für nächste Woche noch Bio. Seite 43 bis 46 lesen.«

Er legte auf und verschwand.

»Ich muss auch los«, kündigte meine Schwägerin an, umarmte mich, rümpfte die Naseüber Pauls Schulranzen und verschwand ebenfalls.

Ich stand am Küchentisch und starrte auf Pauls Deutschheft. Dann schlug ich es auf und blätterte darin. Sollte ich mich vielleicht dochöfter mit ihm hinsetzen? Unschlüssig zuckte ich mit den Schultern und legte das Heft weg. Meine Schwägerin hatte den Samen des schlechten Gewissens gesät. Hatte ich bei den Elternabenden nicht richtig zugehört? Was hatte denn Pauls Lehrer zu diesen Themen gesagt? Und wann war ich eigentlich das letzte Mal bei einer Elternversammlung gewesen?

Mit diesen Gedanken im Kopf machte ich mich auf den Weg zum Einkaufen. Und wie das manchmal so ist im Leben, sollte das Thema an diesem Tag damit noch lange nicht abgehakt sein. Im Supermarkt traf ich nämlich Hannahs Mutter.

Nach ein paar freundlichen Worten zur Begrüßung sagte sie:»Wie läuft es eigentlich bei Paul in Mathe?«

»Mathe? Ganz gut, glaube ich.«

»Kommt denn Paul mit der neuen Lehrerin zurecht?«, wollte sie wissen.

Neue Lehrerin? Was für eine neue Lehrerin?

»Frau Simon, die Vertretungslehrerin für die Meyer«, fügte Hannahs Mutter zum Glück sofort hinzu.

Ich nickte und tat so, als wüsste ich, wovon sie redete.

»Ach so, natürlich. Ich denke schon, dass er mit ihr klarkommt. Er hat nichts Negatives berichtet.« Eigentlich hatte Paul gar nichts berichtet. Er hatte die Lehrerin noch nie erwähnt.

»Meine Hannah meint, die Simon sei uralt und ein richtiger Drachen und würde ständig herumschreien«, regte Hannahs Mutter sich auf.»Dabei sollte die Meyer doch nur vier Wochen fehlen. Und nicht vier Monate! So lange kann man doch gar nicht brauchen, um sich von so eine