: Nina Sedano
: Die Ländersammlerin Wie ich in der Ferne mein Zuhause fand. Die meistgereiste Frau Deutschlands erzählt.
: Eden Books - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
: 9783944296760
: 1
: CHF 11,60
:
: Reiseberichte, Reiseerzählungen
: German
: 320
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
In 40 Jahren hat Nina Sedano die ganze Welt bereist. Mitreißend erzählt sie von ihren abenteuerlichsten Erlebnissen. Das Reisen ist Nina Sedanos große Leidenschaft. Ihr Leben in Frankfurt kann sie auf die Dauer nicht erfu?llen und sie fasst einen mutigen Entschluss: Sie wird Geld ansparen, ihren Job aufgeben und alle 193 UN -Staaten bereisen. Voller Elan und Lebensfreude macht sie sich auf in die Ferne. Unterwegs erlebt sie Aufregendes, taucht in fremde Kulturen ein, knu?pft Freundschaften, stößt manchmal an ihre Grenzen und lernt viel u?ber das Leben, die Welt und sich selbst. Dabei verliert Nina Sedano niemals ihren Humor und vor allem nicht ihr Ziel aus den Augen. Heute sind elf Reisepässe vollgestempelt und die Ländersammlerin kann von sich behaupten, die meistgereiste Frau Deutschlands zu sein.

Nina Sedano kündigte mit 36 Jahren ihren Arbeitsplatz als leitende Angestellte und widmete dem Reisen von da an einen Großteil ihrer Zeit. Als 'Die Ländersammlerin' erlangte sie deutschlandweit Bekanntheit. Bis heute ist sie eine von insgesamt nur etwa 30 Frauen weltweit, die es geschafft haben, alle 193 Staaten der Vereinten Nationen zu bereisen.

DAS ERSTE MAL (1971)


Ich suche die Antwort auf eine Frage. Eine wichtige Frage und sie wird kommen – früher oder später. Wann war meine erste Reise ins Ausland? Und wohin? Wenn ich nur die Antwort wüsste. Sie liegt so nah und ist doch so fern …

Ich begebe mich zurück in die Vergangenheit, zum Anfang meines Lebens. Ich wälze Erinnerungen, sehe Bilder vor meinem inneren Auge, klar und deutlich, nur kann ich sie nicht zuordnen. Emotionen, Erlebnisse, Erinnerungsfetzen, tief in mir drin, verschmelzen miteinander. Ich bin auf der Suche nach meinem ersten Reiseland, der Nummer zwei aller mir bekannten Länder, dem Land, das folgt auf die Nummer eins, die Heimat – Deutschland.

Nur eines ist gewiss: Das erste fremde Land habe ich natürlich nicht auf eigene Faust, besser: auf eigenes Fäustchen, bereist. Ich war noch viel zu klein. Ich lebte in meiner Welt, der Welt eines von Mama und Oma gut behüteten Kindes, denn mein Papa war weg, umgezogen in eine andere Stadt, und hatte kein Interesse an mir. Ich sah ihn selten und weiß bis heute nicht, wie es wirklich ist, einen Vater zu haben.

Ich muss es jetzt wissen. Und zwar sofort. Das wissbegierige Kind in mir, längst groß und erwachsen, gibt keine Ruhe. Nur Eine kann die richtige Antwort wissen. Gedacht, getan. Ich zögere keine Sekunde länger, springe vom Schreibtisch auf, gehe in den Flur und hänge auch schon an der Strippe, denn eine solche hat das alte Siemens-Telefon. Seitüber zwanzig Jahren steht es auf dem weißen Schuhschrank in meinem Flur und tut seinen Dienst. Ich brauche kein neues. Darüber hängt eine riesige Weltkarte, auch die nicht mehr taufrisch. Auf ihr sind Länder wie Montenegro, Eritrea, Südsudan, Osttimor noch nicht verzeichnet. Die Politik hat längst neue Grenzen gezogen. Die Karte hätte ich gern erneuert, aber den Verlag gibt es nicht mehr. Also behalte ich mein altes Exemplar. Von dem mag ich mich nicht trennen. Ich tippe eine Nummer, es tutet.

Wie aus einer Quelle sprudelt es aus mir heraus:»Hallo, Mama. Ich bin’s. Ich habe eine ganz wichtige Frage an dich. Welches war das Land, das ich gemeinsam mit dir zuerst besucht habe?«

Am anderen Ende der Leitung, nur ein paar Straßen weiter, ist es kurz still. Dann ein tiefer Seufzer.

Viel zu schnell, ohne zuüberlegen, gibt sie mir die Antwort:»Schätzchen, daran kann ich mich nicht erinnern.«

Ich rolle mit den Augen. Am liebsten hätte ich laut gestöhnt.

»Bleib jetzt ganz ruhig«, sage ich flehend zu ihr wie auch zu mir.»Wo warst du mit mir zuerst? War esÖsterreich oder war es die DDR? Es muss eines der beiden Länder gewesen sein. Das weiß ich genau. Mama! Das kann doch nicht so schwer sein! Ich war viel zu klein, ich kann mich nicht mehr erinnern. Aber du musst es doch wissen! Du warst alt genug!«, beende ich meinen atemlosen Wortschwall vorwurfsvoll.

Es bleibt still für eine Weile.

Jetztüberlegt sie tatsächlich, denke ich grinsend. Plötzlich ruft sie mir ins Ohr. Es kommt wie aus der Pistole geschossen, als beantworte sie die Eine-Million-Euro-Preisfrage.

»Es warÖsterreich! Wir waren in Berwang zum Skifahren.«

Hurra, jetzt hat sie’s, freue ich mich. Aber ich habe noch Zweifel und hake erneut nach:»Bist du dir ganz sicher? Waren wir nicht zuerst in deiner Heimat? In Thüringen?«

»Nein! Nein! Dort waren wir erst Jahre später. Jetzt weiß ich es wieder ganz genau«, entgegnet sie erleichtert. Ich bin es auch und drücke sie in Gedanken.

Wie schön, die Antwort gefunden zu haben. Endlich weiß ich: InÖsterreich war ich zum ersten Mal in einem fremden Land. Dort nahm alles seinen Anfang, dort liegt der Ursprung der für mich wunderbarsten Sammelleidenschaft der Welt.

Das zweite fremde Land, das ich bereiste, ist die Deutsche Demokratische Republik, die ehemalige Heimat meiner Mutter. Viele meiner»Zeitgenossen« aus dem Westen haben dieses fremde Land, das zu unserer und meiner Geschichte gehört, nie kennengelernt. Ich bin als Kind und Jugendlicheöfter»drüben« gewesen, in Thüringen und in Berlin. Diese Besuche brachten mich zum Nachdenken und erweiterten mein Bewusstsein. Tief in mir sind Eindrücke und Erlebnisse, die mich prägten. Die DDR hat mich stärker beeinflusst als die meisten Länder, die ich danach bereiste.

Ich erinnere mich an Mutters Freundin Erna, an deren Familie und ihren Pudel, an ihr riesiges Haus. Sie empfingen uns so herzlich, als gehörten wir dazu. Jedes Mal, wenn wir aus dem Westen zu Besuch kamen und ihnen Sachen mitbrachten, freuten sie sich. Im Dorf gab es kaum Autos, sodass ich mitten auf der Straße spielen konnte und viel draußen war.

Nur eins will ich schon damals nicht begreifen: Es gibt Menschen, die nicht dahin fahren dürfen, woher wir kommen. Die nicht reisen können, wohin sie wo