VORWORT
»Vielen Dank, dass Sie heute mit uns geflogen sind. Wir hoffen, Sie bald wieder als Gast an Bord begrüßen zu dürfen«, haucht die Stewardess ins Mikrofon. Natürlich hört ihr längst niemand mehr zu. Stattdessen springen alle auf und reißen ihr Gepäck aus den Ablagefächern, als ginge es um Leben und Tod.
Auch ich habe es eilig. Aber solange die Flugzeugtüren noch geschlossen sind, macht es keinen Sinn, Hektik zu verbreiten. Genau eine Stunde habe ich noch Zeit, um pünktlich um Mitternacht an meinem Arbeitsplatz zu erscheinen. Das ist knapp, aber mit dem Taxi zu schaffen. Nach zwei Tagen auf dem Laufsteg würde ich jetzt eigentlich nichts lieber tun, als nach Hause zu meiner Katze zu fahren, mir dann ein heißes Bad einlaufen zu lassen und anschließend zehn Stunden am Stück durchzuschlafen. Stattdessen muss ich die nächsten acht Stunden damit zubringen, fremden Menschen beim Geschlechtsverkehr und/oder onanieren zuzusehen. Währenddessen werde ich Gläser polieren, das ständig klingelnde Telefon beantworten und Drinks ausschenken. An vorrangig nackte Menschen. Ich trage dabei aber Kleidung. Immerhin.
Als die Türen sichöffnen, werde ich vom Menschenstrom automatisch mitgeschoben und schaffe es gerade noch so, mir zwei Schokoladenherzen aus dem Körbchen der Stewardess zu schnappen. Eigentlich wollte ich drei.
Eine halbe Stunde später sitze ich endlich im Taxi und nenne dem Fahrer die Adresse meines Arbeitsplatzes. Sein Blick verrät sofort, was er denkt:»Das passt.So eine treibt sich in genau solchen Läden rum.«
»Det is aber ein janz schönes Stück«, erklärt er mir kurz angebunden, wobei er etwas verstört auf das Totenkopf-Tattoo an meinem Kehlkopf starrt.
»Und?«, frage ich verwundert nach.
»Det werden bestimmt dreißig Euro!«
»Keine Sorge. Die werde ich schon noch zusammenkratzen«, sage ich so freundlich wie möglich und schenke ihm ein Lächeln, das nicht erwidert wird. Natürlich nicht. Ich bin ja tätowiert und damit asozial.
Tatsächlich und leider gibt es auch heute– und ja, auch in Berlin– immer noch Menschen, die bei Tätowierungen seltsame Assoziationen haben. Sie denken: asozial, Schmarotzer, Schlampe, kriminell oder etwas einfallsloser einfach nur: Junkie. Inzwischen versuche ich, mit Vorurteilen dieser Art humorvoll umzugehen oder sie zumindest zu ignorieren. Die Tatsache, dass ich seit einigen Jahren gerade wegen meiner Tätowierungen zu einer»Person derÖffentlichkeit« wurde,ändert an diesen Vorurteilen nichts.
Also versuche ich meinem Taxifahrer seine voreingenommene Haltung heute nicht allzuübel zu nehmen. Die Kombination aus Tätowierungen und meinem heutigen Fahrtziel zu so später Stunde kann schließlich durchaus irritierend sein. Daher wissen auch nur die wenigsten meiner Bekannten von meinem etwas ungewöhnlichen Arbeitsplatz. Doch professionelles Modeln mit einem normalen Brotberuf in Einklang zu bringen, ist nun mal gar nicht so einfach. Aber leider notwendig. Denn Modeln ist immer noch ein sehr, sagen wir,saisonal bedingtes Geschäft. Eine Arbeit, die von Modemessen und Trends abhängig ist. Und davon, ob man als Model und auch als Person gerade IN oder OU T ist. In meinem Fall ist das noch extremer. Tätowierungen schwanken in der Modebranche vom absoluten In-Trend zum totalen No-Go. Die Anzahl meiner Bookings und die Bezahlung variieren genauso wie der Geschmack. Daher bin ich schon aus finanziellen Gründen auf einen Nebenjob angewiesen. Und der muss für mich vor allem zwei Kriterien erfüllen: mir ein gewisses monatliches Grundeinkommen sichern, damit ich garantiert meine Miete bezahlen kann, und gleichzeitig flexible Arbeitszeiten mit sich bringen. Das ist extrem wichtig, um Bookings, die gern sehr spontan eintrudeln, auch ebenso spontan zusagen zu können. Genau deshalb arbeite ich in einem Swingerclub.
Als wir an einer roten Ampel zum Stehen kommen, starrt der Taxifahrer völlig entgeistert auf das haushohe Plakat an dem Baugerüst gegenüber. Dann sieht er mich fragend an. Von seinem Blick aufgeweckt, betrachte auch ich die tätowierte, halbnackte Frau mit dem Totenkopf auf dem Hals, deren Brüste durch eine Bierflasche versteckt sind. Der Slogan lautet:»Endlich mal Werbung ohne nackte Haut«. Ich gefalle mir auf diesem Foto wirklich ganz gut.
»Bist du das?«
»Hier bitte links«, erinnere ich meinen aufmerksamen Fahrer an der Kreuzung, die er vor lauter Schreck fastüberfahren hätte. Kaum um die Ecke gebogen, sind wir auch schon am Ziel angekommen. Ich bezahle bar und gebe auch ein paar Euro Trinkgeld. Nur, um ihn noch mehr zu irritieren, ich asoziales Ding.
»Kann ich vielleicht ein Autogramm bekommen?«, fragt er schüchtern, als ich gerade die Tür zuschlagen will.
»Bin leider schon zu spät dran. Aber du kannst